Samstag, 26. Januar 2008

...

Die letzte Seite aus dem Notizheft:

In die Walderde eine Mulde gegraben, mit eigenen und anderen Händen, Schichten aus Federn und Kastanienblättern hinein, den toten Körper darauf.
Pfarrer Albregic redet Worte wie Feuerspucker und alle darumherum schweigen wie stumm und bemitleidenswertvoll.

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Äste zu Kerzen um die Mulde, alles leuchtet, von außen der Bus, ich sammel Kiefernzweige, Rosmarinnadeln in den Taschen und lege sie auf den toten Körper. Der Körper soll nicht frieren, damit er nach dem heiligen Wald riecht.

Und lege mich auf die Schichten um den Körper, falte meine Finger wie die Flügel meiner Tauben, schlagend, und irgendwann ruhend und schließlich meine letzten Worte: na početak...

Photobucket

Donnerstag, 24. Januar 2008

1. Hinunter in den Kaninchenbau

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Schöner, goldner Nachmittag,
Wo Flut und Himmel lacht!
Von schwacher Kindeshand bewegt,
Die Ruder plätschern sacht -;
Das Steuer hält ein Kindesarm
Und lenket unsre Fahrt.


So fuhren wir gemächlich hin
Auf träumerischen Wellen -;
Doch ach! die drei vereinten sich,
Den müden Freund zu quälen -;
Sie treiben ihn, sie drängten ihn,
Ein Mährchen zu erzählen.


Die Erste gab's Commandowort;
O schnell, o fange an!
Und mach' es so, die Zweite bat,
Daß man recht lachen kann!
Die Dritte ließ ihm keine Ruh
Mit wie? und wo? und wann?


Jetzt lauschen sie vom Zauberland
Der wunderbaren Mähr';
Mit Thier und Vogel sind sie bald´
In freundlichem Verkehr,
Und fühlen sich so heimisch dort,
Als ob es Wahrheit wär'. -;


Und jedes Mal, wenn Fantasie
Dem Freunde ganz versiegt: -;
"das Uebrige ein ander Mal!"
O nein, sie leiden's nicht.
" "Es ist ja schon ein ander Mal!" " -;
So rufen sie vergnügt.


So ward vom schönen Wunderland
Das Märchen ausgedacht,
So langsam Stück für Stück erzählt,
Beplaudert und belacht,
Und froh, als es zu Ende war,
Der Weg nach Haus gemacht.


Alice! O nimm es freundlich an!
Leg' es mit güt'ger Hand
Zum Strauße, den Erinnerung
Aus Kindheitsträumen band,
Gleich welken Blüthen, mitgebracht
Aus liebem, fernen Land.

hase1

Mittwoch, 23. Januar 2008

...

Es ist gut, dass es keine Farben mehr gibt, denkt Pina, keine Formen, keine Gerüche. Sie sieht das Blut, das farblos aus den Körpern läuft wie Klebe aus einer Tube. Sie sieht es, weiß wie schrecklich alles sein müsste, wenn sie es richtig sehen, richtig fühlen würde, doch jetzt ist es gar nicht so schrecklich, mehr wie ein alter Stummfilm, schwarz-weiß, eigentlich nur graues Rauschen. Sie sieht die tote Frau, das tote Mädchen in ihrem Blut, denkt an das Wort Herzblut. Man soll sein Herzblut in Dinge, die man wirklich will, stecken, das hat Mihir mal gesagt, der ist noch immer in Hildesheim, da ist sich Pina sicher. „Herzblut“, murmelt sie, betrachtet das Blut, das an den Köpfen herunter läuft. Nein, das ist kein Herzblut, das ist nur Klebe.

Es ist angenehm, dieses graue Rauschen. Man sitzt darin, ohne irgendwo anzuecken. Alles so schön monoton, sie sagt das Wort mehrmals vor sich her, denn das Wort klingt ganz genauso wie es ist: „Monoton, monoton.“ Sie schaukelt dabei nach vorne und nach hinten, mo – no – ton, immer wieder hin und her mo – no – ton – mo – no – ton …

Der dicke Außerirdische schlägt seinen Zeigestab auf den Tisch, zwischen all die Aktenordner, so dass es knallt. „Ist eine Kritik an der Machtausübung auch dann noch angebracht, wenn kein Widerstand auf Seiten der Unterworfenen stattfindet?“, fragt er in die Runde der kleinen, verängstigt aussehenden Außerirdischen, manche haben Schlitzaugen, manche Krawatten, manche sind ganz grün hinter den Ohren.

Dienstag, 22. Januar 2008

Marie murmelt:

"Scheiße!"

This is the end

Sekunden nachdem Marlene und das Mädchen, das aus dem Park, die Plätze getauscht haben, vorher Fenster jetzt Gang, plötzliches Bremsen, der Bus schlingert, löst sich der schwarze, massive Koffer aus der Gepäckleiste, Marlene sieht das Ding auf sich zu fliegen, denkt: vorbeischlussausdiemausendegeländegoodbyemyloversgoodbyemyfriendsoverandout, seufzt: "fuckfuckfuck." Und dann, bummzacktot.
Das Mädchen neben ihr murmelt: "Scheiße!"

Sonntag, 20. Januar 2008

MaLiNaSuNaSiMoN

Außerhalb der Zeitrechnung

Malina Suna Simon sah ihren Körper am Busfenster, zusammengesunken. Flugperspektive: weit aufgerissene Augen, ihre Haare zausig, Blut überall, „ Also sprach Zaratusthra“ im Schoß, den Hammer im Hinterkopf, ein einziges, entstelltes schwarz-weiß-rot, Schreie, unglaübige Gesichter dann Stille, Harvenklänge, eine Malina Suna Simon mit schwarzem Flaum auf dem Kopf, dreijährig, eher Foto als Erinnerungsbild, ein Standbild: Sie und „William the conquerer“ der Teddy auf der Schaukel am Apfelbaum, dann: ihr Großvater. In slow motion: sie und ihr Großvater, seine Glatze in Zoom, sie mit ihrer Nasenspitze an seiner Glatze, Babypudergeruch, sie mit ihrem Großvater auf dem Traktor, gelber Mais und „Das Wandern ist des Müllers Lust“, sie und ihre erste Liebe auf der Parkbank, Entenfüttern und selbstgebackener Kuchen, ihre Eltern am Strand der Elfenbeinküste, ihr Vater der ihr Rumpelstilzchen vorspielt, ihre Mutter mit den Apfelbäckchen stolz bei ihrer Abiverleihung, Standbild Familienfoto: Zu dritt am Muscheln suchen.Das Auto, die Lichter, der Graben, die Notaufnahme, der Arzt, die toten Eltern aufgebahrt, der Pfarrer, ohne Worte, der Psychater, endlose Grimasse, Fratze, Kapseln: rote, grüne, gelbe, morgens, mittags, abends, die Kapseln in der Flaschenpost an Nietzsche im Pazifik, sie am Reiten durch Neuseeland, endlose Weiten, sie und ihre große Liebe in der Schauspielschule, er bei ihrer ersten Inszenierung am Berliner Ensemble, stolzerfüllt, das Plakat: „Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturu Ui“ in einer Inszenierung von Malina Suna Simon.
Fallender roter Samtvorhang, brausender Aplaus.

...

„Schließe deine Augen, halt dir die Ohren zu und summe irgendeine Melodie, es wird funktionieren, ich versprechs dir!“
Diese Bilder werden sich in seinem Kopf einnisten, sie werden sich nicht wieder vertreiben lassen, nie mehr. Was wenn er doch eine Zukunft hat?Viola betrachtet ihn, wie er mit zugekniffenen Augen dasitzt, seine Handflächen , wie befohlen, fest auf seine Ohren gedrückt. „Wir müssen die Leiche aus dem Bus schaffen! Halt diesen scheiß Bus an, na los!“ schreit Viola.

„Leicht wie eine Feder“, sagt der Busfahrer, der beim Raustragen mitanpackt. Viola erkennt ihr Gesicht. Die Supermaktdiebin hat sich verabschiedet.

Samstag, 19. Januar 2008

...

Seit zwanzig Minuten redete die Meute selbsternannter Propheten nun schon auf Braunscheid ein.
"Nach Norden", sagte einer der Polizisten, "wir müssen sofort umdrehen! Wenn Sie von Norddeutschland kommen und Richtung Süden unterwegs sind, sollten Sie in keinem Fall ... in diese Richtung weiterfahren, haben die sicher gesagt!"
"Schwachsinn!", sagte ein Blonder mit Latzhose, und vielleicht, überlegte Braunscheid, überlegte der Polizist, ob er ihn, den Latzhosigen, augenblicklich wegen Beamtenbeleidigung anzeigen sollte, den Gedanken dann aber rasch verwarf, weil er sich plötzlich unsicher war, ob überhaupt jemals wieder eine Gerichtsverhandlung stattfinden würde, "Absoluter Schwachsinn!", sagte der Latzhosige, "die wollten sicher sagen, dass wir auf keinen Fall umdrehen dürfen! Also, Sie bleiben auf jeden Fall auf der A7, okay?"
Braunscheid hatte das ganze Gezeter schweigend über sich ergehen lassen, die Augen weit gegen die Nacht gerichtet als ginge es dabei nicht um ihn, als wäre es nicht letztlich seine Entscheidung, lebensrettend oder tödlich, als wären nicht auch Kinder im Bus, als hätte er nicht schon alleine genug Angst gehabt. Es war beängstigend seltsam, in einem Radio wieder die einzige Informationsquelle zu haben, als wäre seit dem Volksempfänger nichts passiert, als wären die 72 Jahre wachsende Zuversicht auf einmal nur noch Zwischenkriegszeit.

"Wissen Sie was?", brüllte Braunscheid, bis vor kurzem als Mann der leisen und höflichen Worte bekannt, "jetzt halten Sie mal alle die Schnauze. Was die uns im Radio sagen wollten, kriegen wir eh nicht mehr raus. Vielleicht stehen da auch nur Kühe auf der Fahrbahn, wer weiß? Gleich sind wir am Kirchheimer Dreieck, da fahren wir auf die A4 ab, wir fahren in den Osten, richtig in den Osten, nach Sachsen oder Polen, da gibt's doch fast nur Dörfer, da gibt's nicht so viele Löcher."
Bevor jemand etwas erwidern konnte, fiel im hinteren Teil des Busses etwas runter, wahrscheinlich ein Koffer, dachte Braunscheid, doch dann stieß der kleine Junge, der die ganze Fahrt über gekotzt hatte, einen langen lauten Schrei aus, einen Schrei, in dem nichts Kindliches mehr war, nur ein markerschütterndes Entsetzen, und Braunscheid sah die wachsende graue Lache auf seinem schwarz-weißen Überwachungsmonitor, die durch den Gang langsam auf ihn zufloß.

Freitag, 18. Januar 2008

MaLiNaSuNaSiMoN

23:32

"Nichts schlimmer als schlechte Regie, wer auch immer hier Regie führt und die Fäden zieht" dachte Malina Suna Simon und fasste einen Entschluß: Keiner sollte sich anmaßen können, über ihr, Malina Suna Simons, Leben zu entscheiden, ihr Leben zur Persiflage zu machen, es in einer armageddonhaften Szenerie mit Aliens und Löchern in einem Bus, ausgerechnet einem Bus, enden zu lassen. Sang-und klanglose Enden hatte Malina Suna Simon noch nie gemocht- der Tod musste schließlich den ihm gebührenden Raum in einer Inszenierung bekommen.
Malina Suna Simon hatte nie wirklich gelebt, es fiel ihr nicht schwer, sich zu verabschieden von der Welt, der Welt mit ihren Aliens, Löchern und komischen Kauzen in Bussen, die vor ihrem nahenden Ende flohen.

24:00

Malina Suna Simon rammte sich den Notausgangshammer in den Hinterkopf .

Malina-Suna-Simon-Tod

Mittwoch, 16. Januar 2008

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Eine Frau schreit. „Hilfe“, schreit sie „Hilfe, ich will nicht sterben!“ „Das wird schon alles gut werden“, murmelt Viola in sein Ohr. Sie hat zum ersten Mal das Gefühl ihn beschützen zu müssen.

Angst, vor dem Sturz, vor dem Aufprall, vor dem was dann passiert.

Halt dir die Ohren zu und stell dir etwas vor, vergiss diesen lauten Bus. Löcher, überall, diese Welt fällt in sich zusammen. Ich habe Angst. Schau mich an und sag mir ob du Angst hast. Sie streichelt über seinen Kopf, sie vergräbt ihre Nase in seinem Haar, hab keine Angst, sie nimmt seine Hand in ihre.

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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Impressum:

Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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