MaLiNaSuNaSiMoN

Mittwoch, 21. November 2007

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Bundeagagentur-fuer-Arbeit

14:05
Malina Suna Simon hasste nichts mehr im Leben als Warten.
Sie war Nr. 475, die blinkende Nummernanzeige schien sich einfach nicht von 280 wegzubewegen.
„Das ist wie in einem Foltercamp“, dachte sie, „zu einer Nummer degradiert, gefangen in einer Endloswarteschleife, gefangen auf einer Schmalspur, alle ziehen mit ihren Sprintern an einem vorbei, rasen zu klar definierten Zielen oder kennen zumindest die Ausfahrt.“
Sie starrte die um sie sitzenden Menschen an, den durch ihre schweißnassen Hände bereits aufgeweichten Brief fest umklammert. „Und was ist ihr Status?“ fragte mit einem Mal eine Stimme von links. Sie sah sich um. Die Stimme gehörte einem alten Mann mit spöttischem Lächeln. „Status?“ fragte sie entgeistert zurück und ging im Kopf durch, was sich mit Status assozieren ließ. Status = Existenzberechtigung, Status = Definition, Status = blödes Wort mit sechs Buchstaben, somit wahr. Dennoch ein blödes Wort. „Ich weiss es nicht!“ antwortete sie vollkommen aus dem Konzept gebracht. „Ich kriege Hartz 4, bin Langzeitarbeitsloser....“ Er wollte ein längeres Gespräch anknüpfen, ihr seine Geschichte erzählen, wollte ihr sagen, dass er ganz und gar nicht einer sei, der einfach ungerne arbeitete, im Gegenteil, dass er schon alles Mögliche an Versuchen umzusatteln unternommen hatte, aber keiner einen alten Gaul wolle. So sähen die Menschen nämlich das alte Eisen heutzutage, man werde ja mit 35 einfach ausrangiert, nichts mehr mit Respekt vor dem Alter, aber Malina Suna Simon schnitt ihm das Wort ab, dachte „Ich bin im falschen Film“, sagte: „Ich habe keinen Status, ich bin immer noch auf der Suche nach einer Existenzberechtigung“, angelte nach ihrer Handtasche und stürmte hinaus, um eine Zigarette zu rauchen. An der frischen Luft, im Freien, gestand sie sich ein, dass seine Frage nicht so blöd war wie der Status-Sachverhalt in sich und beschloss, spazieren zu gehen um über Status zu sinnieren, während die Nummernanzeige drinnen langsam eine Nummer nach der anderen mit ihren Schicksalen konfrontierte.
Malina Suna Simon ging dreimal über den hässlichen, modernen Platz, dachte darüber nach, was Nietzsche wohl über Status und Existenzberechtigungen gedacht hatte, betrachtete immer wieder das Arbeitsamt von außen, entdeckte mit einem Mal einen Supermarkt in einer Seitenstraße des Platzes und ging nach kurzem Zögern hinein, um ihre Gedanken zu ordnen.

EinkaufswagenSupermarktueberwachungsfilm


15:01
Malina Suna Simon schlenderte durch die Regalreihen ohne zu wissen was sie eigentlich wollte, konnte mit sovielen Reizen nicht umgehen, wurde gereizt als sie die mit säuselnder Frauenstimme schlecht gesprochenen Werbeslogans der Wurstwarenabteilung hörte, dachte „Das ist es, man müsste eine Installation, nein, eine Dokumentation in Form einer Installation über die Überreizung in dieser missratenen Gesellschaft machen, mit Aufnahmen schlechter Werbeslogans, Bildern der Waschmittelauswahl mit allen Farbreizen, mit Kindern, die schreien: „Mama, Mama, nein, es muß der Danonejoghurt sein!“ und alles übertönend diese furchtbare Musik, die angeblich die Kaufträchtigkeit steigern soll, so richtige Happy Hippomusik."
Oder man könnte es natürlich auch einfach lassen, die Menschheit, die dannach nicht verlangte, die in ihrer ganzen Menschenfabrikation noch immer keinen Übermenschen hervorgebracht hatte, zu läutern und den Konsumismus auf anderen Wegen untergraben, um wenigstens für sich selber ein Zeichen zu setzen.
Kurzentschlossen schnappte sich Malina Suna Simon eine Zahnpasta, obgleich sie noch eine geschlosssene Tube zu Hause liegen hatte, liess sie in ihre Manteltasche gleiten, lächelte still in sich hinein über ihren anarchistischen Akt, als sie mit einem Mal eine schwache Stimme neben sich: „Das ist Betrug!“ fiepsen hörte. „Schon als Kind wird man zum Wächter über diese konformistische, kapitalistische, konsumistische Welt herangezüchtet“ dachte sie und sagte: „Betrug, Betrug. Das ist gemopst, G E M O P S T, verstehst du, sieben Buchstaben!“ Die kleine Göre entgegnete: "Das dürfen sie nicht!", Malina Suna Simon dachte und sagte noch im Denken: "Das geht dich einen Scheißdreck an was ich darf oder nicht!"
Mit hocherhobenem Kopf schritt sie an dem kleinen verdutzt aussehenden Mädchen und der Kassenschlange vorbei zur Tür. Noch vor den geschlossenen Glastüren, dem Fluchtweg ins Freie, kam ihr eine Frau mit apfelroten Wangen entgegengerannt. Offensichtlich eine Verkäuferin in Zivil. Malina Suna Simon dachte "Oje, das wird hier weder ein gelungener anarchistischer Coup, noch die Vorbereitung auf ein antikonsumistisches Manifest, das ist einfach nicht mein Tag, ich bin echt im falschen Film!" Sie streckte der seltsam freundlich aussehenden, abgehetzten Verkäuferin-in-Zivil-Frau die Zahnpasta entgegen und gab zu, sie mitgenommen zu haben. Im Allgemeinen schützten signalisierte Reue und Schuldeingeständnisse doch vor allzu harter Strafe. Die Frau allerdings sah sie nur noch breiter lächelnd an, sagte: "Is meine Lieblingszahnpasta, die kaufe ich auch immer." Malina Suna Simon verstand nur noch Bahnhof, brüllte vor Sprachlosigkeit einfach "Fuck you", so machten das doch Radikale, nach allem was sie über Radikale wußte. Szene also wieder stimmig, sie, Malina Suna Simon, in einer neuen Folge von "Die radikale Antikonsumistin",
sie, Malina Suna Simon, die vor der dämlichen Welt wegrennt. Ein spektakulärer Abgang, durch die Glastür den starrenden Blicken der kleinen Moralapostelin und der befremdend freundlichen, anscheinend doch-nicht-Verkäuferin-in-Zivil-, entkommen.

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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