Dienstag, 15. Januar 2008

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Weitere Sätze aus dem Notizheft:

Die dunckle Nacht fahrt aus
fahrt ein
The greenlinebusses voll voll
Liebelei

Ich mit ihr mit du mit ihr
c'est la vier
Die Wunde klafft der Stich
punctum trifft

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Auf den letzten Seiten des Notizhefts:


Then spoke the thunder
DA (ja, ich kenne das Wort)
Datta: what have we given?
My friend, blood shaking my heart


Im Tunnel das Geschrei wie im Maisfeld am more als ich nicht rausgefunden, alles da und weg, das Radio ist Pinocchio, und ich bitte bete od prelat Albregic

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There goes the fear or wikipedia mindfuck

"Die Angst ist ein negatives Gefühl, das mit der tatsächlich oder vermeintlich erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Schadens verbunden ist und bezeichnet somit eine Empfindungs- und Verhaltenssituation aus Ungewissheit und Anspannung, die durch eine eingetretene oder erwartete Bedrohung (z.B. Schmerz, Verlust, Tod) hervorgerufen wird."
Marlene stellt fest, dass der Inhalt der Definition auf die gegenwärtige Situation zutrifft. In Momenten der Angst ähneln die Menschen sich sehr, entsprechen Rastern, Definitionen.
Kindergeschrei, Motorengeräusche, Katzenjammer, Gebete vermischen sich, ähneln einem experimentellem Musikstück, hätte Stockhausen sicher gefallen... Im Radio erzählen sie vom allmählichen Verschwinden der Welt, auch ihre Stadt, die aus den Tagträumen, ist runtergefallen. Ob die Freiheitsstatue wohl geschrien hat? Weiterhin sagen sie, dass man eigentlich nirgendwo mehr hin kann, es ist aber doch so, dass man ein Ziel haben muss wenn man flüchtet, vorausgesetzt die Flucht soll Sinn machen. Hinter dem Bus kracht es, Tunnelblick auf den Horizont der zusammenbricht, schwarz wird...da ist kein Licht mehr am einen Ende des Tunnels.

Sonntag

Wie zum Hohn spielte das Radio, nachdem der Tunnel passiert wurde, eine lustig klingende Melodie, etwas von einem roten K..., Pfarrer Alberg dachte an das weiße, was er in den letzten Tagen irgendwo gesehen zu haben meint.
Die Worte aus der Radio waren durch ihn hindurchgegangen; diese Eigenart der Sprache: Jemand spricht, der andere hört, aber egal welchen Inhalt das Gesagte hat, der andere ist immer noch da. Der andere kann sich nur irgendwie verhalten und es ist dem dargestellten Sachverhalt fast nie angemessen. In diesem Fall wurde es neben ihm immer lauter, er hoffte, niemand würde ihn ansprechen. Sie würden in nächster Zeit noch genügend Fragen zu beantworten haben, ob Geo- oder Theologen.

Montag, 14. Januar 2008

Meeresrauschen

idiotischesherz_t1Ja, mein Schatz, still jetzt, ich weiß doch auch nicht was…nein ich glaube nicht, dass…Wissen Sie warum…Amerika, fast ganz weg….schade eigentlich…Amerika schade?... Ich weiß nicht, ob es schade ist wenn…Sie da unter der Decke, was…Haben sie denn nicht gehört, dass…alles weg... immer mehr Löcher…guckt mal hinter uns...alles weg….Sagt doch mal dem Busfahrer einer, wo er…Nein, Mama, ich will die Katze nicht loslass…Kind, denk an die Katze von den Spengemanns…Katzenschnupfen…triefende Augen…Blut aus der Nase und so..Mama, ich lass die Katze nicht…Franck, nicht so auf die Sitze kotzen….Der Bus fährt doch nur um die Löcher heru…Habt ihr den Irren gesehen….lutscht an der Scheibe….macht alles ganz….Fahren wir Richtung Süden?...weiß nicht….vielleicht Osten…Nein wir fahren in den Westen…seit drei Stunden…Mama ich muss kotzen…Schon wieder…hallo…hätte dich jetzt gern bei mir…hättest dich schon gekümmert und…. ….sehen uns dann …..Was macht der da…..Kotze auf meiner Tasche….Entschuldigung..nein…nicht in Ordnung….Du musst was essen….Wann sind wir da Mama… Ich weiß doch auch nicht was...88CAKFSY11CA148U8KCA1HVHZICA2HHNR3CA6OLH93CA0DV02ZCA3N3IRBCADFMP7VCA60FNS8CAH51785CA57IEVMCARNWD9ICAGIV6JSCAYJX1O7CA4CB2AACATPSKNCCA16IUMGCA05P0VQCAGYLZJ51

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Pina streichelt durch das Fell einer Katze, die komischerweise plötzlich auf ihrem Schoß liegt. Der Bus schaukelt durch die Nacht irgendwohin, es sind mehr Menschen als es Sitzplätze gibt, ihre Eltern ein Stück hinter ihr. Pina hat aufgehört zu schluchzen, nur ein paar stumme Tränen fallen in das Fell der Katze. Marvin lugt aus ihrer Jackentasche hervor: „Huch, was hast du denn da?“, sagt er und versteckt sich erschrocken wieder. „Was glaubt ihr, wo wir hinfahren?“, fragt Pina, die Farblosigkeit macht ihr Angst, ihr Herz pocht schnell. „Die Menschen fürchten sich, weil sie etwas nicht erklären können“, sagt Leo. Dann wird auf einmal das Radio laut gedreht …

Die Reaktion der Menschen ist sehr unterschiedlich: Einige fangen an zu schreien und zu schluchzen, fallen sich gegenseitig in die Arme, andere sitzen wie versteinert da, manche beginnen Gebete zu sprechen. „Es besteht kein Grund zur Panik“, murmelt einer der Polizisten, sein Kollege haut ihm kräftig auf die Schulter: „Doch verdammte Scheiße, doch!“ Stimmen werden laut: „Wo fahren wir denn eigentlich hin?“ Es bricht ein Streit los, Spekulationen werden angestellt, was der Nachrichtensprecher wohl sagen wollte. „Wenn Sie von Norddeutschland kommen und Richtung Süden unterwegs sind, sollten Sie in keinem Fall …“ – ja was bloß? Wir sollten umkehren, sind sich einige sicher, andere wollen nach Osten, wieder andere nach Westen. Pina hält die Katze mit großem Druck im Arm, mit aufgerissenen Augen beobachtet sie die Situation. Die Menschen sind von ihren Plätzen aufgesprungen, mindestens fünf reden gleichzeitig auf den Busfahrer ein, damit er die Route ändert. Pina erkennt den Busfahrer wieder, es ist derselbe, den sie damals angerempelt hatte – wie es scheint ist er mit der Sachlage vollkommen überfordert.

Der Bus wird farbloser und farbloser, es bilden sich Löcher im Bild, Löcher in der ganzen Welt, man muss drum herumfahren, die Kugel durch das Labyrinth rollen lassen, es ist aber keine schwarze Linie da, die Löcher werden mehr und mehr, man darf nicht zittern mit den Händen, nicht ein bisschen und auch nicht blinzeln.
Sie hatte sich das nie so vorgestellt, dass hinter den Löchern die Außerirdischen sind, vielleicht haben die Außerirdischen jetzt all die Dinge – den Bundestag, den Regenwald und die Chinesen. Aber es ist eigentlich auch ganz logisch, denkt sie, Tote buddelt man schließlich auch in Löcher, damit sie in den Himmel kommen, zu den Außerirdischen also. Sie hält die Luft an, während sie durch einen weiteren Tunnel fuhren, obwohl sie kein Licht am Ende sehen kann.

Lochfahrt

Das Mädchen streichelt monoton durch sein Fell, sagt etwas, was er nicht versteht, und dann wieder hört er sie reden, nicht mit den anderen Menschen im Bus, die starren vor sich hin, manche ängstlich, manche wirken fast amüsiert, als wüßten sie mehr als der Rest, das Mädchen spricht mit Marvin und Leo, das kann Pepe verstehen, doch nicht, wer antwortet, er hört es, doch keiner der Menschen im Bus spricht. Der Fahrer dreht das Radio lauter.
Hier sind die Hauptnachrichten, wir senden aus dem Außenstudio, unser Hauptstadio ist in einem der Berliner Löcher versunken. Nicht desto trotz fühlt sich unser Sender verpflichtet, Sie solange wie möglich über die Situation zu informieren. Zunächst Deutschland. Praktisch alle Städte mit über 20.000 Einwohnern sind inzwischen evakuiert worden. Die Menschen flüchten in Bussen, Autos oder zu Fuß aufs Land. Kurzfristige Forschungsergebnisse von Geologen, denen zufolge gerade die Städte in den Löchern versinken, weil sie ein größeres Gewicht auf kleinerer Fläche aufweisen, konnten noch nicht bestätigt werden. Auch, dass sich die Löcher durch die Massenselbstmorde etlicher Sektenmitglieder, die sich in die Löcher stürzten, vergrößern, konnte noch nicht nachgewiesen werden. Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass sich die Löcher auch ohne Fremdeinwirken ausbreiten und vergrößern. Aus den ländlichen Gebieten Deutschlands sind uns keine Meldungen bekannt. Die Bundesregierung ist nicht mehr handlungsfähig, da der Bundestag während einer Krisensitzung in einer Ausweitung des Berliner Zentrallochs versunken ist. Es gibt keine generelle Fahranweisung für die Flüchtlinge, am Ende der Sendung geben wir aber noch einmal den letzten Stand der bekannten Löcher und lochfreien Standorte durch. Auch aus dem Rest der Welt erreichten uns in den letzten Stunden Meldungen von einer immer größeren Anzahl von Löchern. New York gibt es nicht mehr wie die meisten anderen amerikanischen Großstädte auch. Teile des südamerikanischen Tropenwaldes sind verschwunden. Aus Gesamtafrika wurden uns Massenunruhen und Plünderungen gemeldet. Ein Schiff der deutschen Marine ist im Mittelmeer verschwunden, die letzte Funkmeldung berichtete von einem Strudel im Meer. Auch der Drei-Schluchten-Damm in China ist von einer Lochbildung betroffen, Tausende Chinesen sind auf der Flucht vor der Flutwelle. Der weltweite Informationsfluss wurde in den letzten Stunden immer weniger. Soweit die Nachrichten aus dem Ausland. Es folgt der letzte Stand der Lochausbreitung in Deutschland: Wenn Sie von Norddeutschland kommen und Richtung Süden unterwegs sind, sollten Sie in keinem Fall ... Im Rauschen versunken, in den Tunnel gefahren, kein Funkloch, nur kein Empfang, dunkle, enge Tunnelwände, der Fahrer hat das Licht angemacht, dreht noch ein wenig am Radio, aber nichts ist mehr zu hören. Hinter ihnen bricht etwas ein, kein Blick zurück mehr möglich.

Sonntag, 13. Januar 2008

Adam

…………nichts als eine Hand, eine vertraute. Nicht viel größer als seine. Erst kalt, so kalt und so leicht, dass seine Muskeln verkrampften. Niemand würde das erkennen. Die Hand wurde warm, es war nicht falsch, er fühlte wie seine Muskeln sich entspannten. Wie die Beine sich reckten, sich um seine schlangen. Er bewegte sich nicht, doch er merkte, wie sein Atem schneller aus seinen Nasenlöchern strömte, dann öffnete er seinen Mund. Die Lippen führen auseinander und die dunkle Luft fühlte sich kalt an seinem Gaumen an. Die Hand wurde fester, über seinen Körper, die Beine, sein Bauch, Fingernägel, doch er bewegte sich nicht. Auch nicht als sie sich auf ihn legte und seine Härchen sich aufstellten als ihr Körper seinen Schritt berührte. Sie atmete immer schwerer und ihr Körper rieb sich an seinem, rhythmisch, kurz stoßend, dann wieder streichelnd. Er hatte Angst. Warum jetzt, es ist dunkel, die Vorhänge zugezogen, die Tür geschlossen, die Decke über ihnen.

Samstag, 12. Januar 2008

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Sätze aus einem Aufzeichnungsheft Mladenkas:

Vor nichts mehr die Angst im Kopf gefürchtet, als Tata zu Hause war von Philosophen-Insel Cres, im Korb mit Fisch und sipa, befohlen, ich muss zum frizer, jeden Monat, und Teta Titulica schneidet und ich muss sitzen mit Ruhe und Lachgesicht schneiden und die Angst im Holzstuhl am meisten, wenn Teta Titulica Messer an Lederriemen abzieht im Kopf das Bild von Salome mit dem Kopf von Johannes auf dem Spiegelteller.

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Und die Fische ... eins und eins ... und ich lerne njemački, deutsch, njemački, deutsch, ja, ich, ja, ich ... Die Sprachen sage ich wohl auf und ich sage Hallo zu Nachbar und wenn ich nicht mehr weiter konnte ... der Nachbar njemački die Paprika nicht gut grillt, sage Hallo ja ne und Nachbar lacht aus.

In einer Kiste geschlafen ... Traum von Frau im Bild ... ich bin eine Frau und liebe eine Frau ... der Mann klopft auf die Kiste .... im Wald Schüsse gehört ...

Freitag, 11. Januar 2008

Adam

"In meinem Namen werden sie böse Geister austreiben, in neuen Zungen reden, Schlangen mit den Händen hochheben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird’s ihnen nicht schaden; auf Kranke werden sie die Hände legen, so wird’s besser mit ihnen werden."

Markus, 16. 17,18

Adams Kopf lehnte gegen die Scheibe. Die Stirn bewegte sich auf ihrer eigenen dünnen Fettschicht, das dünne Wasser seines Atems war auch eine Schicht, verdeckend, die Köpfe der Einsteigenden konnte er nicht sehen. Er sah sie nur kommen, noch einige Menschen zur Haltestelle und mit fragenden Blicken, mit fragenden Mänteln und vertrauenden grüngrauen, gelbgrauen Jäckchen in den Bus einsteigen. Er sah sich selbst den Pfad, das zertretende, matte Gras entlang gehen. Es hatte irgendwann geregnet. Der Matsch, der zwischen den grünen, weichen Streichhölzern hervorquoll, klebte an seinen Stiefeln. Der Gang war schwer, doch nicht schwer genug als dass er ihn unwissend machen könnte. Er wusste was zu tun war. Die Erde war trocken. Die kleinen blassroten Kügelchen legten sich in gemütliche Ecken, versteckten sich, doch sollten gefunden werden. Dies, das alles ist ihr Zeichen, das Ende, der Frieden. Es ist Adams Aufgabe. Die Väter. Ben-Ammi und sein Bruder Moab. Er nahm sie an die Wange, langsam, sie waren ganz ruhig in seiner Hand. Es musste so kommen, sagte Adam, er sagte es ihnen und sie verstanden. Nur so konnte es kommen, sagte Adam, so war es bereits und so war das Versprechen. Er gab ihnen einen Kuss auf ihren warmen nackten Leib. Das Messer verlief gezielt, er war geübt, kaum Blut, sie spürten keinen Schmerz, sie konnten gar nicht.

Marie hat gehört,

dass man verschwinden sollte. Wunderbar, dass es endlich alle verstanden haben. Nur: Verschwindet man wirklich, wenn es alle tun? Das weiß sie nicht genau.

An der Hildesheimer Straße stehen sie beisammen, ratlos und merkwürdig zufrieden. Sie denkt an Tocotronic. So etwas wie ein guter Rat/wer Ich sagt/hat noch nichts gesagt.
Also doch, man muss gemeinsam verschwinden. Scheiße.

Mittwoch, 9. Januar 2008

Ein Held geht seinen Weg

Braunscheid hatte das Jubeln der dörflichen Menge noch immer in den Ohren und überhörte so die Stille unter den Wartenden. Vor vier Tagen hatte er den Bus versenkt, eine Heldentat ohnegleichen, ein entscheidendes Signal zum Aufbruch: Zwei Tage später die Aufrufe in der Zeitung, die vagen Graffitis in der Stadt: HAUT AB, SOLANGE IHR NOCH KÖNNT! Braunscheid hatte gelacht, weil er erst beim dritten Lesen dahintergekommen war, dass das erste Wort kein Substantiv sein sollte.
Am frühen Abend dann ein letzter Salat mit allen kompatiblen Zutaten, die die Speisekammer hergab, zum letzten Mal in der Küche für Werweißwielang. Im Flur ein Koffer, kaum größer als DIN A3: Wenn schon Flucht, dann richtig. Eine Ersatzhose, die Regenjacke, fünf Schokoriegel, der Pass, der Organspenderausweis. Keine letzten Telefonate, das Netz war völlig überlaufen abgestürzt, also einen Zettel auf den Küchentisch: Keine Angst & keine Diebstähle: Ich komme wieder! Euer/Ihr Hans-Peter Braunscheid.
Dann im Fastdunkeln zur Hildesheimer Straße, das unbeleuchtete Grüppchen, die Geräusche sich nähernder Rollkoffer. Hinter ihm wimmerte ein Mädchen: "Gebt mir meine Farben zurück!" Er drehte sich um, um es zwischen den Gesichtern zu suchen, als ihm ein älterer Mann mit Brille auf die Schulter haute: "Mensch, sind Sie nicht der, der den Bus ins Loch gefahren hat? Gut, dass Sie da sind. Sie müssen uns unbedingt helfen! Sie sind doch Busfahrer? Wir brauchen hier noch einen, der Kollege ist - naja - kurzfristig ausgefallen ... wobei 'fallen' in dem Zusammenhang vielleicht ein etwas makabrer Ausdruck ist ... ist 'ne tragische Geschichte ... also: Übernehmen Sie das?"
Braunscheid hatte das Jubeln der dörflichen Menge noch immer in den Ohren.

Adam

"Darum mach dich auf und durchzieh das Land in die Länge und Breite, denn dir will ich’s geben."

1. Mose, 13, 17

Adam ging die Straße alleine. Sie waren alle in Sicherheit. Sie würden alle wiederkommen, wenn sich die Lage beruhigt hatte. Doch Adam wollte mit dem Bus fahren, so wie sie es ihm gesagt hatten. Alle kommen raus haben sie gesagt, irgendwas war nicht gut. Abends, die Straßen waren dunkel und leer, aber hier und da sah Adam jemanden mit einem Koffer oder einer Tasche rennen. Er war auch schon spät dran. Sachen packen, das Nötigste. Verabschieden musste er sich, alle finden, sie streicheln, lange. Dann alles gut vernagelt. Mit langen dicken Brettern. Er wusste ja nicht, wann er wiederkommen würde. Sein Schuppen musste sicher sein. An der Haltestation standen schon einige Menschen. Manche hatte er schon gesehen, irgendwann mal. Doch es war nicht so hell, zu viele Gesichter, graue Jacken und Hosen, schwarze Mäntel, Kinder an Händen, mit rotgrauen, gelbgrauen Jäckchen, Mäntelchen. Er hatte etwas vergessen, dachte er sich, irgendwas stimmt doch nicht. Die Hand ging in den Rucksack und sie wurde von Weich umschlossen, schönes Weich. Er war beruhigt. Davon konnte er sich nicht trennen. Nichts jetzt.

Dienstag, 8. Januar 2008

Eine kleine Reise

Plötzlich wirkt das Loch kalt und dunkel, nichts wartet da unten, gar nichts. Schwachsinnsidee! Als ob sie nicht längst wüsste. Also Koffer packen, irgendwas mitnehmen, nicht darüber nachdenken, alles gleich unwichtig. Den Porzellanfuchs in der Hand halten, Postkarten aus Paris, Wien, Barcelona, ein Fotoalbum, Franck nutellaverschmiert, heulend in der Badewanne, Franck in ihren Armen. Jeder einzelne Gegenstand, der an ein Leben erinnert, an eine Vergangenheit.
Das ist die letzte Möglichkeit von diesem Ort zu verschwinden. Wie es wäre ihn einfach hier zu lassen, sich aus dem Staub machen, ein Stück Vergangenheit ausradieren.
„Na los“, ruft Viola, „wir müssen uns beeilen oder willst du in dieser Stadt verrecken?“ Franck tut alles wie in Zeitlupe, er kann sich nicht entscheiden, packt ein, dann wieder aus, betrachtet die Wohnung eindringlich, als würde er sie in seinem Kopf mitnehmen können, um sie später wieder auszupacken. „Franck, so geht das nicht!“

Wenige Stunden noch, dann ist dieser Ort Vergangenheit.

„Was passiert mit den Alten?“, fragt sie sich, „mit den Kranken, mit denen, die sich weigern zu gehen?“ Es bleibt wenig Zeit. Viola gießt ein letztes Mal ihre weiße Orchidee. Nun kann die Reise beginnen.

Langsam raschelt etwas die Straße entlang, die Stille einer verlassenen Stadt. Sich fragen wohin und wieso und wie weit noch. Sich fühlen wie man sich als Kind gefühlt hat, sich fühlen wie vor einem Schulausflug.
Aufstehen Viola!
Langsam raschelt etwas die Straße entlang, unter der Stadt rauscht der Strom der Zerstörung, über den Wolken wartet etwas, das herunterstürzen will.
Laufen Franck, schneller, nicht stehenbleiben, nicht immer stocken und schauen und lauschen und bücken und riechen, nicht der Katze hinterherjagen, die schafft das schon.

Viola reißt an seinem dünnen Kinderarm, schüttelt ihn, ruft etwas, brüllt, verteilt ihre Worte in einer stumm gewordenen Stadt. „Du bist zu langsam! Du bist nicht schnell genug! Du bist nie das, was ich von dir erwarte! Du bist eine Null, ein Nichts!“

Gerade noch rechtzeitig erreichen sie die Sammelstelle Hildesheimer Straße.

Montag, 7. Januar 2008

Sonntag

Obwohl Pfarrer Alberg in seiner letzten Predigt versucht hatte, die Ängste der Kirchenbesucher vor der bevorstehenden Evakuierung zu zerstreuen, fiel es ihm selbst nicht leicht, das Pfarrhaus zu verlassen. Einige hatten nach dem Gottesdienst noch das Gespräch gesucht, erklärten, dass sie schon ihr halbes Leben lang hier seien; erst in dem Moment, als er das Neue Testament in seinen schwarzen Handkoffer legte, erkannte er sich selbst als Betroffenen und verstand sie. Als er um kurz vor Fünf an der Bushaltestelle Hildesheimer Straße ankam, war es bereits dunkel. Es dauerte noch eine ganze Weile bis alle anderen eingetroffen waren; Pfarrer Alberg suchte sich einen Fensterplatz, legte die Beine übereinander und schaute hinaus; der Bus fuhr an.

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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Impressum:

Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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