Montag, 14. Januar 2008

Meeresrauschen

idiotischesherz_t1Ja, mein Schatz, still jetzt, ich weiß doch auch nicht was…nein ich glaube nicht, dass…Wissen Sie warum…Amerika, fast ganz weg….schade eigentlich…Amerika schade?... Ich weiß nicht, ob es schade ist wenn…Sie da unter der Decke, was…Haben sie denn nicht gehört, dass…alles weg... immer mehr Löcher…guckt mal hinter uns...alles weg….Sagt doch mal dem Busfahrer einer, wo er…Nein, Mama, ich will die Katze nicht loslass…Kind, denk an die Katze von den Spengemanns…Katzenschnupfen…triefende Augen…Blut aus der Nase und so..Mama, ich lass die Katze nicht…Franck, nicht so auf die Sitze kotzen….Der Bus fährt doch nur um die Löcher heru…Habt ihr den Irren gesehen….lutscht an der Scheibe….macht alles ganz….Fahren wir Richtung Süden?...weiß nicht….vielleicht Osten…Nein wir fahren in den Westen…seit drei Stunden…Mama ich muss kotzen…Schon wieder…hallo…hätte dich jetzt gern bei mir…hättest dich schon gekümmert und…. ….sehen uns dann …..Was macht der da…..Kotze auf meiner Tasche….Entschuldigung..nein…nicht in Ordnung….Du musst was essen….Wann sind wir da Mama… Ich weiß doch auch nicht was...88CAKFSY11CA148U8KCA1HVHZICA2HHNR3CA6OLH93CA0DV02ZCA3N3IRBCADFMP7VCA60FNS8CAH51785CA57IEVMCARNWD9ICAGIV6JSCAYJX1O7CA4CB2AACATPSKNCCA16IUMGCA05P0VQCAGYLZJ51

...

Pina streichelt durch das Fell einer Katze, die komischerweise plötzlich auf ihrem Schoß liegt. Der Bus schaukelt durch die Nacht irgendwohin, es sind mehr Menschen als es Sitzplätze gibt, ihre Eltern ein Stück hinter ihr. Pina hat aufgehört zu schluchzen, nur ein paar stumme Tränen fallen in das Fell der Katze. Marvin lugt aus ihrer Jackentasche hervor: „Huch, was hast du denn da?“, sagt er und versteckt sich erschrocken wieder. „Was glaubt ihr, wo wir hinfahren?“, fragt Pina, die Farblosigkeit macht ihr Angst, ihr Herz pocht schnell. „Die Menschen fürchten sich, weil sie etwas nicht erklären können“, sagt Leo. Dann wird auf einmal das Radio laut gedreht …

Die Reaktion der Menschen ist sehr unterschiedlich: Einige fangen an zu schreien und zu schluchzen, fallen sich gegenseitig in die Arme, andere sitzen wie versteinert da, manche beginnen Gebete zu sprechen. „Es besteht kein Grund zur Panik“, murmelt einer der Polizisten, sein Kollege haut ihm kräftig auf die Schulter: „Doch verdammte Scheiße, doch!“ Stimmen werden laut: „Wo fahren wir denn eigentlich hin?“ Es bricht ein Streit los, Spekulationen werden angestellt, was der Nachrichtensprecher wohl sagen wollte. „Wenn Sie von Norddeutschland kommen und Richtung Süden unterwegs sind, sollten Sie in keinem Fall …“ – ja was bloß? Wir sollten umkehren, sind sich einige sicher, andere wollen nach Osten, wieder andere nach Westen. Pina hält die Katze mit großem Druck im Arm, mit aufgerissenen Augen beobachtet sie die Situation. Die Menschen sind von ihren Plätzen aufgesprungen, mindestens fünf reden gleichzeitig auf den Busfahrer ein, damit er die Route ändert. Pina erkennt den Busfahrer wieder, es ist derselbe, den sie damals angerempelt hatte – wie es scheint ist er mit der Sachlage vollkommen überfordert.

Der Bus wird farbloser und farbloser, es bilden sich Löcher im Bild, Löcher in der ganzen Welt, man muss drum herumfahren, die Kugel durch das Labyrinth rollen lassen, es ist aber keine schwarze Linie da, die Löcher werden mehr und mehr, man darf nicht zittern mit den Händen, nicht ein bisschen und auch nicht blinzeln.
Sie hatte sich das nie so vorgestellt, dass hinter den Löchern die Außerirdischen sind, vielleicht haben die Außerirdischen jetzt all die Dinge – den Bundestag, den Regenwald und die Chinesen. Aber es ist eigentlich auch ganz logisch, denkt sie, Tote buddelt man schließlich auch in Löcher, damit sie in den Himmel kommen, zu den Außerirdischen also. Sie hält die Luft an, während sie durch einen weiteren Tunnel fuhren, obwohl sie kein Licht am Ende sehen kann.

Lochfahrt

Das Mädchen streichelt monoton durch sein Fell, sagt etwas, was er nicht versteht, und dann wieder hört er sie reden, nicht mit den anderen Menschen im Bus, die starren vor sich hin, manche ängstlich, manche wirken fast amüsiert, als wüßten sie mehr als der Rest, das Mädchen spricht mit Marvin und Leo, das kann Pepe verstehen, doch nicht, wer antwortet, er hört es, doch keiner der Menschen im Bus spricht. Der Fahrer dreht das Radio lauter.
Hier sind die Hauptnachrichten, wir senden aus dem Außenstudio, unser Hauptstadio ist in einem der Berliner Löcher versunken. Nicht desto trotz fühlt sich unser Sender verpflichtet, Sie solange wie möglich über die Situation zu informieren. Zunächst Deutschland. Praktisch alle Städte mit über 20.000 Einwohnern sind inzwischen evakuiert worden. Die Menschen flüchten in Bussen, Autos oder zu Fuß aufs Land. Kurzfristige Forschungsergebnisse von Geologen, denen zufolge gerade die Städte in den Löchern versinken, weil sie ein größeres Gewicht auf kleinerer Fläche aufweisen, konnten noch nicht bestätigt werden. Auch, dass sich die Löcher durch die Massenselbstmorde etlicher Sektenmitglieder, die sich in die Löcher stürzten, vergrößern, konnte noch nicht nachgewiesen werden. Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass sich die Löcher auch ohne Fremdeinwirken ausbreiten und vergrößern. Aus den ländlichen Gebieten Deutschlands sind uns keine Meldungen bekannt. Die Bundesregierung ist nicht mehr handlungsfähig, da der Bundestag während einer Krisensitzung in einer Ausweitung des Berliner Zentrallochs versunken ist. Es gibt keine generelle Fahranweisung für die Flüchtlinge, am Ende der Sendung geben wir aber noch einmal den letzten Stand der bekannten Löcher und lochfreien Standorte durch. Auch aus dem Rest der Welt erreichten uns in den letzten Stunden Meldungen von einer immer größeren Anzahl von Löchern. New York gibt es nicht mehr wie die meisten anderen amerikanischen Großstädte auch. Teile des südamerikanischen Tropenwaldes sind verschwunden. Aus Gesamtafrika wurden uns Massenunruhen und Plünderungen gemeldet. Ein Schiff der deutschen Marine ist im Mittelmeer verschwunden, die letzte Funkmeldung berichtete von einem Strudel im Meer. Auch der Drei-Schluchten-Damm in China ist von einer Lochbildung betroffen, Tausende Chinesen sind auf der Flucht vor der Flutwelle. Der weltweite Informationsfluss wurde in den letzten Stunden immer weniger. Soweit die Nachrichten aus dem Ausland. Es folgt der letzte Stand der Lochausbreitung in Deutschland: Wenn Sie von Norddeutschland kommen und Richtung Süden unterwegs sind, sollten Sie in keinem Fall ... Im Rauschen versunken, in den Tunnel gefahren, kein Funkloch, nur kein Empfang, dunkle, enge Tunnelwände, der Fahrer hat das Licht angemacht, dreht noch ein wenig am Radio, aber nichts ist mehr zu hören. Hinter ihnen bricht etwas ein, kein Blick zurück mehr möglich.

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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