Donnerstag, 13. Dezember 2007

Kommentare

Ich war so viel älter / damals als ich jung war.
Eric Burdon and the Animals

Ein Leben, das einem Ziel zustrebt, lässt wenig Platz für Erinnerungen.
Michel Houellebecq

Nichts weiß ich, wenn ich an das große Ganze denke / Oder ist es das große Ganze, was mich vergisst
Fernando Pessoa

In manchen Altenheimen sind vor den Notausgängen schwarze Rechtecke auf den Boden gemalt, damit die Dementen denken, da wäre ein Loch und nicht durch die Notausgangtür (die aus Sicherheitsgründen nicht abgeschlossen werden darf) flüchten.
Die echte Welt

Eine neue Beobachtung, oder nicht?

Ein Brief. Es hatte da etwas mit einem Brief gegeben. Gestern vielleicht oder vor einer Woche. Seine Initialen waren darauf zu lesen gewesen. Fritze Wegner strauchelt beim Durchforsten seiner zerschossenen Erinnerung, stößt auf Zeitungen, nein Notizen, es waren Notizen oder Aufzeichnungen. Er kramt in den seltsamen Räumen seines Hauses, in denen jemand, vielleicht seine Frau, die sich seit Tagen nicht blicken lässt, kuriose Bilder und Geschriebenes aufgehängt hat. Fritze Wegner würde diesen Schnickschnack gern abnehmen, traut sich aber nicht. Er entdeckt ein Notizheft mit dem Namen "Persönliches Tagebuch F. Wegner", blättert und findet.

Habe Brief an anonyme Person geschickt, habe Brieftaube benutzt. Hoffe der Empfänger kennt die Antwort.

Fritze Wegner muss sich hinsetzen und starrt eine Weile auf die Notiz, reibt sich die müden Augen,
bis ihn ein Ziehen im Geist aufspringen lässt, hinauslaufen, den Hut vergessen, da ist etwas zu tun und es muss schnell getan werden, die Notizen müssen mit und sind auch dabei, immer schneller läuft F. W. durch das bekannte Geflecht der Straßen, man sieht sein Gesicht glühen und die Arme schlingern, man
sieht ihn immer langsamer werden, denn er weiß nicht, was zu tun ist, muss ohne Ziel weiter schlendern und erreicht eine Menschenmenge. Sie scheinen dazustehen. Fritze Wegner geht näher heran, um zu erkennen, wer sie sind. Sie lassen eine Lücke für ihn, geben Preis, was sie betrachten. Doch die Augen sind schlecht und ihre Gläser zu Hause, Fritze Wegner fällt, muss in eine Leere blicken und sieht seine Notizen weiß winkend wie ein Taschentuch hinunterschweben.

13. Dezember

"Aber nur die Roten!", ein harter Befehlston, sie: klein, alt und weißhaarig. Viola nickt und beginnt in das lichte Haar der Meyer Lockenwickler zu drehen. "Wie alt ist denn das Kind?", fragt sie. Kein Tag ohne diese Frage, denkt Viola und spürt eine Wut in sich aufkommen. "Acht", sagt sie, "er ist acht", acht, zu groß geraten, krumm wie ein alter Mann, auf dem Schulhof der, der abseits steht, der Komische, den die anderen Vollidiot nennen. Viola denkt, dass sie zu den anderen gehört hätte und dass das alles irgendwie nicht zusammen passt.
"Unglaublich, dieses Loch", sagt die Meyer in eine minutenlange Stille hinein, "die pure Zerstörung!", sagt sie, in ihrer Stimme so eine Art Wahnsinn. "Halt", schreit sie "keine Grünen, Gelben, Blauen oder Pinken! Nur die Roten!Wie oft soll ich Ihnen das denn noch sagen?" Viola schmunzelt, diese irren, alten Weiber. "Du Biest" flüstert sie. Dann stellt sie die Trockenhaube extra heiß.

Ein Loch, tief, schwarz und rund. Es stimmt also! Viola steigt über das rotweiße Absperrband, dann setzt sie sich, lässt die Beine in die Tiefe baumeln. Eine Sehnsucht, die sie nach unten lockt, springen, sich im freien Fall befinden, in einer anderen Welt wach werden, vier Beine haben und zwei Köpfe.
Viola löst die goldene Armbanduhr von ihrem Handgelenk, 13:15, irgendeinTag im Dezember. Sie hält die Uhr in ihrer rechten Hand, streckt ihren rechten Arm aus und lässt los. "Ich komme nach", murmelt sie, steht auf, federleicht, steigt auf ihr Rad, fährt, wirft den Kopf in den Nacken, ruft, fährt freihändig, fährt schnell, fährt ohne zu zögern.

Zitternde Äste, Ameisenschritte und Kinderstimmen unter der Stadt. Sie hört die Haut an ihren Händen reißen: ein Hund, der sich rot leckt und ein Kind, das große Augen hat und ein Junge, der sich in ihre Gedanken kämpft und 1000 Monde über der Stadt und glitzernder Straßenbelag und this is so fucking schön und Abschied, Abschied zum ersten Mal und der Junge, der sich in ihre Gedanken kämpft und ein weißes Kaninchen, das sie nach Australien lockt und ein Loch, das ihren Namen ruft: Viola.

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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Impressum:

Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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