Persönliches Tagebuch F. Wegner
Sie sagen 12 Tage, 12 Tage hätte ich verloren, weiß aber, dass es mehr sind. Bin sehr alt geworden, älter als ich je war und die Welt ist so jung und doch so wie früher als ich hätte jung sein sollen. Es müssen mehr Tage sein, Jahre vielleicht, die Schwester sagte, das Rathaus sei verschwunden, habe gefragt, ob's die Russen oder die Amis gewesen sind, Schwester (Polin, über Dreißig, dürr, freundlich), sah mich nicht an. Frau Kluge (78 Jahre, verrückt, dement ) redete von Außerirdischen, im Kopf ist sie schon lange fort, denkt sie ist 17. Bin dann wieder eingeschlafen, habe wieder geträumt von verschwundenen Gebäuden, stattdessen nur Steine. Man wollte nach Hause und findet wieder nur Schlachtfelder, dann Abflussrohre jeden Tag bis abends dreiviertel sechs, eine Frau, die sagt, ich bin ein junger starker Bursche, zwei blonde Kinder, die sagen, ich bin ihr Papa. Abflussrohre, Mann, Abflussrohre, Papa, Abflussrohre, Opa, Beerdigungen und immer wieder die kalten Schlachtfelder. Wache auf in warmen Federn im Lazarett. Frau Kluge schimpfend auf die Außerirdischen und die Polen "Mein Vater kriegt euch alle, Judensäue!", Spritze in den schlaffen Unterarm. Habe zu viel Zeit verloren, gehe hinaus, ein besorgter Doktor Fleischer. Glaube, ich müsste etwas tun, weiß nicht mehr was. Jemand sagt, das Rathaus ist verschwunden, ich frage nach Steinen für einen Stall für die Hühner, die meine Frau gern hätte. Jemand sieht mich nicht an. Es gibt jetzt eine Sperrzone. Das ist besser so.
Fritze Wegner - 1. Dez, 17:35