Mittwoch, 12. Dezember 2007

Adam

"...; und die auf Erden wohnen, sind betrunken geworden von dem Wein ihrer Hurerei."

Offenbarung, 17, 2

Behutsam legte er ihnen beiden eine Wurzel ins Terrarium. Zuerst rührte sich Ben-Ammi um sich sein Futter zu holen, dann auch Moab. Die restlichen Wurzeln legte Adam in eine kühle Truhe und holte dann aus dieser einen Leinensack heraus. Er dachte an den grünen, knarrenden Sessel passend zum Sofa. Er saß auf dem Fußboden und spielte mit seiner Kusine. Seine Mutter, monoton knarrend las von oben auf sie hinab. Sie trug keine Strümpfe, die trug sie so gut wie nie. Nur ihre grauen Latschen, Adam konnte ihre Zehen sehen. Wie kleine Inseln verschwanden die roten Flecken Nagellack immer langsam von ihren Füßen. Dann lackierte sie neu. Da sah Adam manchmal auch zu. Es war ein Kinderspiel für sie. Sie war immer sehr dünn gewesen, sehr drahtig. Locker winkelte sie das Bein an und führte mit einem Arm den kleinen Pinsel. Es war immer dasselbe dicke Buch mit den dünnen Seiten. Es war oft Vernichtung, oft Erlösung. Der leblose Körper lag vor ihm und das weiche dichte Fell, die zähe Haut, die Sehnen, es war so voll in seinen Händen, voll und dunkel leuchtend.
Oft trug sie diesen braunen Morgenmantel mit den Blumen über der rechten Brust. Wenn sie die Beine übereinander schlug, konnte Adam immer ihre enge lange Unterhose sehen. Seine Kusine, daran erinnerte sich Adam jetzt, spielte immer am liebsten mit den Holzkühen. Oft steckte sie ein paar davon unter ihren Pullover. Sie sagte, da haben sie es warm. Sie wollte sie beschützen. Eng an ihrer Haut, dort war es dunkel, wer konnte ihnen da etwas tun.
In einem Blecheimer wusch er das Fell. Er knetete es kräftig. Die Seife schäumte, das Fell wurde weiß.

...

Das muss dir erstmal passieren, dachte Braunscheid später noch: Dass die dir den größten Gegenstand entwenden, den du kennst. Der dir auch irgendwie gehört, jeden Tag ein paar Stunden. Und dann kommen die mit ihren Knarren und fühlen sich verbots- und entsorgungsberechtigt. In einer behördlichen Befehlssprache, die es gar nicht mehr gibt in der echten Welt, so von wegen "Bürger Braunscheid, ihre Dokumente, sofort!" (woher wussten die seinen Namen?) Das hatte ihn geärgert, wirklich geärgert, wie unfreundlich die waren! Flaumbärtige Bundeswehrangehörige, denen die mehrjährige, freiwillige Verpflichtung als Flucht vor eigener Lebens- und Tagesplanung gerade recht kam, und die nun endlich mal was anderes als Kaserneputzen und Hubschrauberflugscheinprüfung erledigen durften. Und die ihm seinen Bus abknöpfen sollten, so von wegen "In Anbetracht der aktuellen Ereignisse halten wir es für notwendig". Konnten die aber vergessen. Konnten die mal so richtig vergessen. Waren die ersten Menschen, die vergessen konnten, dass Braunscheid immer tat, was von ihm verlangt wurde, um niemanden zu kränken. Braunscheid konnte auch "in Anbetracht der aktuellen Ereignisse" denken+handeln!
Also zack, Rückwärtsgang bis zum Waldrand, die Soldaten zu perplex zum Schießen (oder die Gewehre gar nicht geladen?), auf dem Feldweg gewendet und schnurstracks zum Rathaus, was sollte denn der Scheiß, er würde sich jetzt beschweren, so ging es ja nun nicht.

Aber als Braunscheid sah, dass der Marktplatz nur noch ein Loch war, mindestens so tief, wie das Rathaus früher mal hoch gewesen war, da dachte er: Jetzt spinnen sie alle, dann mach ich halt mit, mach ich halt auch mal das, was alle machen. Er wendete das Bushinterteil dem Loch zu, fuhr langsam an, fletschte die Zähne ins Nichts der glotzenden Menge und riss erst im letzten Moment die Fahrertür auf, um hinauszuspringen, und während er die Arme in die Luft hob, eine Siegerpose ohne Lächeln, versank der Bus hinter ihm geräuschlos im Loch.

MaLiNaSuNaSiMoN

Teppich-Malina-Suna
12:21
Malina Suna Simon hatte das Gefühl, einmal früh aufgewacht zu sein.
Heute könnte es etwas werden mit dem Friseurbesuch und damit dem Beginn einer neuen Epoche: Sie, Malina Suna Simon, "back to life", sie, Malina Suna Simon, auf dem Weg zum Erfolg.
„Anderes Aussehen=anderer Marktwert, anderer Marktwert= besseres Selbstwertgefühl, besseres Selbstwertgefühl=mehr Möglichkeiten zur Selbstvermarktung=höherer Marktwert, höherer Marktwert=Integration in die so genannte Realität“ dachte Malina Suna Simon, während sie den Küchenschrank öffnete und gähnende Leere vorfand. Tagelang hatte sie nur Reis gegessen, nun war auch die Reispackung bis auf ein paar lächerliche Körner verzehrt.
„Es ist Zeit, mich hinauszuquälen“ dachte sie und begann, nach ihrem vor Tagen abgeschalteten Handy zu suchen. Sie stellte es an, kein Piepsen, kein Vibrieren. Nicht, dass es sie erstaunt hätte, Malina Suna Simon wurde so gut wie nie angerufen, bekam so gut wie nie Nachrichten. Gleichwohl verspürte sie in diesem Moment Enttäuschung über die Gleichgültigkeit der Außenwelt. „Wie schön wäre es, eine alles entscheidende Sms zu erhalten, so etwas wie eine Botschaft“ dachte sie, als ihr Blick mit einem Mal auf die Datumsanzeige fiel. Das konnte doch gar nicht wahr sein! Sie war doch nicht zwei Wochen in ihrer Wohnung geblieben ohne sich hinauszu........Sie hatte doch nicht bereits vor zwei Wochen den Entschluss gefasst, zum Friseur zu....Nein, das mit dem Arbeitsamt war doch keine zwei Wochen her!!!!! Zwei Wochen, das war doch schier unmöglich, das Datum mußte falsch sein. Sie musste sofort das richtige Datum herausfinden!Malina Suna Simon schnappte sich Mantel und Mütze aus der begehbaren Gaderobe, öffnete die fünffach sicherheitsverriegelte Stahltür und stürmte auf die Straße, von ihrer plötzlichen Energie selber erstaunt.
„Einfach schnell die nächste Zeitung kaufen“ war ihr einziger, wiederholter Gedanke während sie mit hastigen Schritten, ohne nach rechts und links zu sehen zum Kiosk eilte. Vorbei an den Fischerhäuschen, vorbei am Krötenkonzert.


13:31
Malina Suna Simon starrte die FAZ entgeistert an. Das Datum stimmte. Wo war die Zeit geblieben? Was hatte sie denn die ganze Zeit gemacht? Sie hatte.....Ja, sie hatte gelesen, gedacht, geschlafen, gelesen........... „Das kann nicht wahr sein!“ dachte sie und entschloss sich, die Zeitung dennoch zu kaufen und, auf den Schock, auch gleich noch fünf Packungen Maltesers und drei Schachteln Zigaretten dazu. Etwas Luxus muss sein, mir etwas gönnen, um das Sparen zu ertragen." Malina Suna Simon blickte den stets wortkargen und aufs Äußerste bemüht wirkenden Kioskbesitzer von oben herab an, zahlte beinahe stolz und dachte: „Grins mich nicht so blöd an.Ich weiß ganz genau mir steht ACHTUNG! ACHTUNG! ARBEITSLOSE! auf die Stirn tätowiert. Ich sehe dir ja an, dass du dachtest, ich hätte kein Geld oder käme mit einem frisch geschlachteten Sparschwein aus 2-centstücken hier an, aber da täuschst du dich, Freundchen!"
Ohne Abschiedsgruß machte Malina Suna Simon auf dem Absatz kehrt und beeilte sich, zurück nach Hause zu kommen, rauchte eine Zigarette nach der anderen ohne dabei den Blick von dem Erscheinungsdatum der Zeitung abzuwenden die sie aufgefaltet wie einen Panzer vor sich hertrug.
Zurück in Sicherheit, das Stahltürschloß fünffach abgeriegelt, dreifach überprüft, zurück in Sicherheit auf dem Perserteppich, schlug sie das Feuilleton auf. Die Buchstaben begannen vor ihr zu tanzen: Buchstabensalat: Zwei Wochen, zwei Wochen, zwei Wochen, zwei Wochen,zwei Wochen...............................
Sie versuchte sich zu konzentrieren, betrachtete die Buchstaben als könne sie sie hypnotisieren und damit zähmen, zugänglich machen. Provokative Aidainszenierung! tanzte vor ihren Augen herum, sinnesentleert. "So einen Scheiß will doch eh niemand lesen!“ dachte sie, entschied, sich selber nicht durch die Erfolge von Kollegen zu quälen, zerknüllte das Feuilleton, schmiss es hinter sich auf den Teppich und suchte nach der Seite mit Kuriosem aus aller Welt. „Ein Artikel über das Rathaus hier.....“ „Massen an Menschen und Dingen auf misteriöse Art und Weise von ominösem Loch angesogen.........“
"Das ist ja wohl der Beweis, das die Welt nun endgültig verrückt spielt-und da soll ich an meinem Verstand zweifeln! Wer will denn an so einer Welt teilhaben?“ dachte Malina Suna Simon wütend, zerknüllte nunmehr die gesamte Zeitung, überlegte sie zu einem späteren Zeitpunkt für Pappmaschee zu verwenden und legte sich mit „Also sprach Zarathustra“ zurück ins Bett. Sie dachte: „Ein mysteriöses Loch!Tzzzzzzzzzzzzzzzz!" und schlug das Kapitel Von großen Ereignissen auf: „Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. Eine dieser Krankheiten heisst zum Beispiel: "Mensch."
Ihr versteht zu brüllen und mit Asche zu verdunkeln! Ihr seid die besten Grossmäuler und lerntet sattsam die Kunst, Schlamm heiss zu sieden.Wo ihr seid, da muss stets Schlamm in der Nähe sein, und viel Schwammichtes, Höhlichtes, Eingezwängtes: das will in die Freiheit.
"Freiheit" brüllt ihr Alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben an "grosse Ereignisse," sobald viel Gebrüll und Rauch um sie herum ist."

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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Impressum:

Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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