Über einen weiten Platz laufen Menschen in strömen wie graue tropfen dem abfluss entgegen dem sinn der uhrzeiger dreht sich ein strudel aus menschen mit menschen aus murmeln wird rauschen: verschwunden, verschwunden und nichts ist zu sehen nur menschen und menschen drängen nach innen zum licht
aufgeschwemmte Straßenlaternen
wie blasse bojen schwanken die kegel gelöst in bewegung der enge aus menschen in menschen in menschen verschwommene menschen ertrunken in ständigem reden: verschwunden, verschwunden wie wellen sich heben und fallen die wörter drängen zu sehen was menschen noch vor menschen verstecken ist tiefe
loch
nichts verschwindet erstickend der druck aus masse von menschen drücken menschen stürzen menschen ab ins
nichts
ist ein gefühl von freiem fall
Vor ihm steht ein Mädchen. Er sieht sie, bevor er weiß, wer er ist.
nichts
Sie hat große Augen, weit aufgerissen treffen sie nicht seinen Blick.
Sie starrt auf seine Stirn.
Was haben Sie mit Ihrem Kopf gemacht?
Friedrich denkt: nichts.
Er streckt seinen Oberkörper und sieht sich um. Bushaltestelle. Ein leichter Schmerz im Rücken. Etwas Hunger. Er ist auf einem orangefarbenen Plastiksitz eingeschlafen. Mittagszeit. Gewohnheit der Mittagsruhe: in der Psychiatrie hat er meistens wach gelegen, auf der Seite und den Wecker angestarrt. Jetzt ist er frei.
Sind Sie als Kind vielleicht mal hingefallen?
Friedrich weiß nicht.
In der Bushaltestelle gegenüber sitzt ein junger Mann mit kurzgeschorenem Kopf. Der junge Mann senkt den Blick. Friedrich hat noch nie eine Bierdose gesehen.
Sind Sie jetzt traurig? Entschuldigung... Sie sehen plötzlich ganz – beige aus!
Friedrich sucht in sich nach Worten. Er betrachtet seine Turnschuhe: weißes Kunstleder, durchzogen von Nähten.
Irgendwann sagt er: Nein – nicht traurig – nur Hunger, ein bisschen.
Doch das Mädchen ist schon verschwunden.
friedrich2 - 27. Nov, 21:58
Pina stellt sich die Außerirdischen vor: Eine Herde grüner Männchen kommt und verschluckt das Rathaus. Ein Ziegelstein nach dem anderen, Aktenordner und Türklinken verschwinden in ihren Mündern machen ihre Bäuche kugelrund. Schließlich bleibt nichts als ein Loch und ein paar kugelrunde Außerirdische, bis aufs Unmögliche aufgequollen, vielleicht hängt einem noch ein Kabel aus dem Mund. „Was wollen die denn mit einem Rathaus?“, fragt Pina. Marvin schaut zu Leo herüber: „Überleg doch mal! Wahrscheinlich wohnen sie auf einem sehr unordentlichen Planeten. Vielleicht haben sie keine Einwohnerstatistiken, Finanzierungspläne, Sozialhilfen, überhaupt solch schöne Bürokratie wie die Deutschen haben sie sicher nicht.“ „Du meinst, sie wollten die Bürokratie klauen?“, Pina fühlt sich ganz glitzergelb vor Aufregung. „Genau, und da bauen sie jetzt einfach alles wieder auf, übernehmen das System und werden alles wunderbar ordnen können in den vielen Aktenordnern.“ Leo, der bis jetzt nur schweigend zugehört hatte, räuspert sich: „Wisst ihr, all die Menschen aus dieser Stadt, sie existieren eigentlich gar nicht mehr. Weg die Daten, keiner wird mehr wissen, wer hier wohnt. Nur die Außerirdischen haben die Computer mit den Namen und Zahlen.“ „Aber da werden doch alle ganz anders heißen, als es in den Statistiken steht“, wundert sich Pina, „vielleicht nehmen sie dann ja unsere Erdennamen an, dann wird ein Außerirdischer genauso heißen wie ich“, sie lacht bei der Vorstellung. Marvin und Leo sehen sich nachdenklich an.
Pina - 26. Nov, 19:39
sich einen Fisch zu kaufen. Sie hätte gerne einen Raubfisch, der mit der Zeit sehr traurig schaut, weil er in dem runden Glas nicht rauben kann. Thomas erzählte ihr dann aber vom hässlichen Großkopf-Bratpfannenwels. Der Großkopf kann nicht gut schwimmen und das gefiel Marie noch besser. Derweil putzt sie die Toiletten im Motel. Der dicke Mann meint, die Schüssel müsste glänzen wie die Sonne. Allgemein erzählt er in den letzten Tagen viel Scheiße. Gestern, als sie hereinkam, meinte er: „Das Rathaus ist verschwunden.“ Weißer Rand, weißer Schlund, dann ein Loch. Sie schrubbt. Mein lieber Großkopf-Bratpfannen-Fisch, wenn du dann eines Tages stirbst, dann spüle ich dich in der Toilette herunter. Sie geht herunter, sagt zu dem dicken Mann hinter der Bild, „wie die Sonne“ und tritt auf die Straße.
Marie. - 26. Nov, 00:58
Franck hat gewartet, hat sie sehnsüchtig herbei gewünscht. Viola kennt den Blick, der ihr das erzählt. Für einen winzigen Augenblick denkt sie an ihr hoffendes Kind, das falsche Vermutungen anstellt und sie hinter jeder Minutenzeigerumrundung zu hören glaubt, ihre Schritte im Treppenhaus und ihre Stimme , die von der Straße zu ihm herauf geschwemmt wird und immer wieder Viola, die knackt, schnipst, pfeift, zwitschert.Was sagt man als Mutter zu seinem Kind, denkt Viola, doch bevor sie sich etwas Passendes zurechtlegen konnte fängt er an zu sprechen.
"Aliens haben das Rathaus verschluckt", sagt Franck und Viola denkt warum nicht. Solln sie doch. Kann sein, denkt sie, heute ist nicht der Tag , an dem man die Existenz solcher Wesen verneinen würde, schon möglich, warum auch nicht.
Viola Knaack - 25. Nov, 18:56
Ein grelles Blitzen vor den geschlossenen Lidern, ein noch nie gehörtes Geräusch kracht im Trommelfell, Stunden später das bekannte, schrille, unbarmherzige Rufen des Weckers. Vor dem Fenster ist es Nacht, die Uhr sagt es ist Tag, früher Tag. Sie verbindet den Tag mit Licht, aber nicht mit künstlichem Licht, nicht Nachtlicht.
Mit kleinen Augen erreicht sie das Erdgeschoss, im Briefkasten ihres Nachbarn die Zeitung, ein absurder Titel, wie immer, eine Schrecksekunde (Nr.1), Erkenntnis. Sie hat von Verschwinden geträumt, von Löchern. Hat sie etwas mit der Sache zu tun?
Eine Tür fällt ins Schloss, Schrecksekunde (Nr.2).
thegirllistentonickcave - 25. Nov, 17:26
Tu, hat Mladenka gesagt, zu sich, es ist soweit, jetzt müsse sie auch so schnell wie möglich von hier weg, aus diesem Loch, in Deutschland. Sie, Mladenka, hätte oben im Taubenschlag gestanden, mit Blick auf die Gasse und dort seien Massen von Menschen unterwegs, schreiende, schweigende vor allem. Kurz davor dachte sie noch, Rosenberg und dass jedes Wort wie Blumen dufte, als sie aus dem Fenster blickte, sei sie sich nicht mehr sicher gewesen. Mein Gott, hätte sie bei diesem Anblick weitergedacht und für einen kurzen Moment an Moses und die Auswanderung aus Ägypten, wie man sie ihr in der Schule erzählt hatte. Es müsse also etwas passiert sein, etwas Schlimmes, so Mladenka, und als sie gerade das Fenster schließen wollte, um hinunter zu gehen und die Menschen zu fragen, was, sei eine ihrer Tauben gelandet. Ihre einzige Weiße, um genau zu sagen, und an ihrem Schnabel klebte weißes Fell, dünne Häarchen, ein Hase vielleicht, so Mladenka. Die Taube hätte sie vorgestern einem Bekannten am anderen Ende der Stadt zugesandt, als sie wiederkam, hätte sie auf das Fensterbrett gebrochen, sie hätte sie gestreichelt, den Finger durch den Sud gestrichen – Alkohol sei im Spiel. Sie hätte das Tierchen dann allerdings nicht weiter beachtet, auch, weil sie dachte, jetzt sei es ja raus, und den Brief gelesen. Lüge, stünde ganz oben, noch über dem Datum von heute. Dann: was denn jetzt mit der Welt los sei, wolle er wissen, einfach so ein Loch, ohne Krieg, so was ist doch eine Lüge. Nun sei ein Rathaus allerdings auch der beste Ort, der sich in ein Loch auflösen könne. Denn nun sei alle Allmacht in der Stadt dahin, und es regieren wieder die Vögel und Katzen, gegeneinander, und da wäre es mit einem Krieg und Löchern ohnehin nicht mehr so weit hin. Sie solle einmal ihre Bäume im Garten schütteln und prüfen, ob diese nicht etwas zu sagen hätten, ob die was wüssten, schließlich könne man sich auf die Natur noch verlassen, besonders auf die Bäume und das Gras. Und überhaupt, ob sie denn das Loch schon gesehen hätte, er selbst nicht und das was die Zeitung schreibe, dürfe man nicht glauben. Eine Lüge, hätte mehrmals noch unter dem Text gestanden und auf bald, F.W. Mladenka sei daraufhin, kurioserweise, im gleichen Moment wie die Taube, über einen Sack alten Brots gestolpert, und erst einmal liegen geblieben, im Korn, auf dem Holz, auch, weil sie im Treppenhaus Schritte gehört hätte, die nicht von ihren Ziegen stammen konnten.
Mladenka Ljubic - 25. Nov, 16:53
In diesen kalten Zeiten, mit dem Nieselregen, der auf schwarzen Kleidern perlt, ist es durchaus nicht einfach, das Wort Gottes zu verkünden. Die Arbeiten für den nächsten Dienstagmorgen, die Beerdigung einer vierundsechzigjährigen Frau, waren noch nicht ganz abgeschlossen, als Herr Alberg seiner Gewohnheit folgend, an einem matten Sonntagvormittag, zum nächstgelegenen Kiosk lief, um sich eine Süddeutsche Zeitung zu kaufen.
Das Rathaus, mit seinen Politikern, das Bau-, Sozial-, Standes- und Jugendamt soll durch einen Gefechtsschlag außerirdischer Kräfte in ein riesiges Erdloch verwandelt worden sein?
Pfarrer Alberg - 25. Nov, 16:47
Sir Pepe Kowalski wunderte sich sehr, wie lernfähig er doch war, wenn er denn lernen musste. So fiel ihm das Laufen auf vier Pfoten und das gleichzeitige Austarieren seines Gleichgewichtes mithilfe seines Schwanzes recht leicht, als er - an den in seine Wohnung eingebrochenen Männern vorbei - nach draußen auf die Straße lief.
Kowalski war schon zu Menschzeiten nie barfuß in der Stadt umhergelaufen, warum hätte er das auch tun sollen. Wenn Katzen nicht sowieso schon auf ihren Zehen laufen würden, so hätte Kowalski dies bestimmt von selbst getan, als er das erste Mal den kalten Asphalt unter seinen Pfoten spürte. Er überlegte, wohin er gehen konnte. Freunde hatte er keine. Nicht, dass er sich je um welche bemüht hätte, aber in misslichen Situation wie der seinen wären ihm Freunde, zumindest ein paar wenige, schon recht gewesen. Im Gehen listete er in seinem Kopf all die Namen seiner Exliebschaften auf, was ihm nicht all zu leicht viel. Es waren nicht gerade wenige gewesen in den letzten Jahren und Sir Pepe Kowalski hatte kein sonderlich gutes Gedächtnis, er merkte sich meist nur seine eigenen Geschichten, doch selbst vergaß er dann und wann einmal. Er versuchte sich zu erinnern, welche seiner weiblichen Bekanntschaften ihn verlassen hatte, ohne das er sich hatte etwas zu Schulden kommen lassen. Dieses Merkmal reduzierte die Anzahl der Namen erheblich.
Er ging um einen Häuserblock und blieb beim Anblick einer aggressiven, giftgelben Fassade auf der anderen Straßenseite unwillkürlich stehen. Dieses Gelb erinnerte ihn an irgendwas. Doch sobald Kowalski anfing, in seinem Gedächtnis danach zu suchen, bekam er ein Lied nicht mehr aus dem Kopf und musste gegen seinen Willen innerlich mitsingen, auch wenn ihm Teile des Textes immer wieder fehlten.
Dein Haar glänzt wie ein Sternenzelt, dein Mund ist die Versuchung selbst, aha.
Dein Teint ist wie aus einem Magazin, wie Blumen duftet jedes Wort, das über deine Lippen kommt, aha, begehrt er dich, so kann ich das verstehen.
Dass sich Sir Pepe Kowalski zu Menschzeiten die Namen seiner aktuellen und dann meist ziemlich schnell wieder verflossenen Liebschaften anhand von Schlagersongtexten gemerkt hatte, daran erinnerte er sich in diesem Moment nicht.
Nicht weit entfernt von dem Haus mit der giftgelben Fassade gab es einen Supermarkt, Kowalski erinnerte sich, dort des Öfteren eingekauft zu haben. Er blieb stehen und konnte durch die gläsernen Türen eine ihm sonderbar erscheinende Szenerie erblicken, eine Frau mit in Falten gezogener Stirn, die einer lächelnden anderen Frau eine Zahnpastatube entgegenhielt, dahinter, ein verstört dreinblickendes, wütendes kleines Mädchen und nun die Frau mit der Zahnpasta, wie sie die andere Frau – scheinbar aus dem Nichts – anschreit, sich umdreht, den Laden durch die Glastür verlässt, ohne Hinzuschauen direkt auf Sir Pepe Kowalski zukommt, fast über ihn stolpert, und ihm mit spitzen Stiefel ihm einen kräftigen Tritt verpasst, genau in die Lendengegend. Die darauffolgenden Beschimpfungen verstand er nicht mehr, kurz wurde ihm schwindelig, er hätte gern geschrieen, wenn er es doch gekonnt hätte, doch das schrille Kreischen eines leidenden Katers schien ihm fehl am Platz. Also versuchte er sich zusammen zu reißen, was ihm nur Rahmen seiner sehr beschränkten Leidensfähigkeit gelang, denn Sir Pepe Kowalski war schon zu Menschzeiten eine Lusche gewesen.
Er schleppte sich durch die Stadt, ohne ein wirkliches Ziel vor Augen zu haben. Nach einer Weile erreichte er einen Park und legte sich an das Ufer eines Baches. Ihm gegenüber, zwei Mädchen, rauchend, spuckend. Eine der Beiden kam ihm seltsam bekannt vor und sobald er in ihr - doch recht hübsches – Gesicht blickte, kam ihm wieder unwillkürlich dieses Lied in den Kopf.
Ich seh dich an und weiß, daß ich
mit dir mich nicht vergleichen kann, aha.
Ich bin nicht so, bin nicht wie du.
Ein Teil von ihm gehört schon dir,
doch ehe ich ihn ganz verlier', aha,
bitte hör mich an.
Noch eh sich Sir Pepe Kowalski darüber wundern konnte, dass ihm alle möglichen Textzeilen dieses Liedes in den Sinn kamen, nicht jedoch der Refrain, spuckte eines der Mädchen über den Bach hinüber und traf ihm am Ohr. Pepe sprang verärgert auf und lief – es war inzwischen dunkel geworden – in Richtung eines Jahrmarktes. Am Rand standen die Wohnwagen der Schausteller, aus einem besonders abgewrackten schien Licht. Pepe merkte, dass er doch so langsam Hunger bekam und ging die kleine Aluminiumtreppe zur Tür hinauf, als ihn ein Mann auf der Treppe aufhielt. Hielt Sir Pepe seinen stinkenden Finger hin, das roch Pepe schon auf einen halben Meter Entfernung, er wich zurück. „Egal, wie sonderbar du bist, der Bruder meines Ururgroßvaters hätte dich verspeist. Er war eine Attraktion. Ein Geck. Er hätte sich nicht die Mühe gemacht dich erst umzubringen oder dir das Fell abzuziehen. Er hätte dich verschlungen wie du bist. Aber keine Angst. Ich mache so etwas nicht. So ein schönes Fell. Das ist doch viel zu schön, um es zu essen. Mir würde etwas Anderes einfallen, das ich damit machen könnte.“
Obwohl Sir Pepes zwischenmenschliche Gespür nie besonders ausgeprägt war, spürte er doch, dass er in Gefahr war.
Als Sir Pepe Kowalski den Rummelplatz verließ, ahnte er noch nichts von dem Loch, das sich in der Nacht auftun würde.
Sir Pepe Kowalski - 25. Nov, 12:49
Er mag es, wenn es draußen noch leicht kalt ist, wenn er aus seinem silbernen Passat steigt.
Und er mag es, wenn er an einem Grab die Wurzeln von Heide auseinander zieht.
Bei seinen Gottesdiensten wird bevorzugt Edvard Grieg gespielt.
Pfarrer Alberg - 24. Nov, 13:20
20:01
Malina Suna Simon starrte die Bildzeitung ihres Busgegenübers an.
SELTSAMES LOCH: WAREN ES ALIENS?
RATHAUS WEG
RIESENSCHOCK
"Die Bildzeitungsredaktion leidet anscheinend nach Titelschlagzeilen wie "Rattenscharfe Punkhochzeit" endgültig Not an Ideen für weitere Titelstories mit Kaufpotential. Solch offensichtlichen Unsinn schluckt doch nicht einmal ein Taxifahrer!" dachte sie, sah das Erscheinungsdatum der Bildausgabe, verspürte einen Drang zu lachen. Sie hatte seit Ewigkeiten nicht mehr gelacht, nicht einmal geschmunzelt, war nun beinahe erstaunt, ja befremdet über diesen Mechanismus ihres Körpers. Malina Suna Simons Bauchdecke zitterte, nein, bebte, und obgleich sie versuchte es zurückzuhalten, entwich ein Prustgeräusch ihrem Mund.
MaLiNaSuNaSiMoN - 23. Nov, 01:06
Die Welt - 22. Nov, 22:28
Bericht des Chefarztes Prof. Dr. [?]
Tonbandaufnahme
Ich habe schon auf Sie gewartet. Gut, gut... Konnte ja nicht lange dauern bis die Presse hier auftaucht. Erst einmal stimmt es: wir haben einen abgängigen Patienten, Friedrich, vollkommen harmlos. Aber das werden Sie ohnehin nicht in ihren Artikel schreiben, oder? Na schön... Friedrich wurde direkt nach seiner Geburt bei uns aufgenommen. Damals hatte er kaum Überlebenschancen. Friedrich leidet unter einer schwerwiegenden Form einer cranium bifidum, also einer Spaltbildung des Schädeldachs, die im frühen Embryonalstadium einsetzt. Normalerweise wird dieser Defekt schon per Ultraschall diagnostiziert, normalerweise, bei Friedrich war das anders. Fragen Sie mich nicht, wer der schwangerschaftsbegleitende Arzt war... Nun ja, wir haben Friedrich operiert: ein riskanter Eingriff. Wir hatten wenig Hoffnung, aber Friedrich hat überlebt. So ist das mit ihm: er hält sich nicht an ärztliche Prognosen oder anders ausgedrückt: Friedrich ist medizinisch gesehen ein Wunder; eines zwar, dass erst durch die Forschungsleistungen der modernen Hirnchirurgie ermöglicht wurde und nicht zuletzt auch durch den erfolgreichen Eingriff, an dem ich entscheidend mitwirken durfte; und doch: mir ist bis heute unbegreiflich, dass Friedrich das Säuglingsalter überleben konnte. Sein Ausbruch ist somit ersteinmal Symptom einer erfolgreichen chirurgischen, psychiatrischen und neurologischen Praxis. Aber die geschlossene Psychiatrie zu kritisieren, ist für Sie natürlich einträglicher. Ich verstehe das... Leider wird Ihr Besuch wenig Nutzen haben. Bis morgenfrüh Ihre Zeitung erscheint, ist Friedrichs Freigang beendet und das ist auch gut so... Er ist nämlich abhängig von ärztlicher Obhut und Medikamenten. Die geschlossene Psychiatrie ist eben oft weniger Strafmaßnahme, als individuelle und soziale Notwendigkeit, aber das werden Sie ja auch nicht schreiben.
Sie werden sehen: Morgen ist alles vorbei. Nur ein Sturm im Wasserglas.
friedrich2 - 22. Nov, 21:42
"Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob's nicht so sei, damit ich's wisse." 1. Mose 18, 21
Die Nacht stand Adam in den Augen. In den Gliedern. Er war gar nicht mehr zum Schlafen gekommen. Die grüne Kordlatzhose, über den weißen Holzstuhl mit abblätternder Farbe, beschmiert in Kniehöhe mit Braun und noch mehr Grün. Die metallenen Laken klebten an seinen Beinen, das Wohngestell quietschte als er das Gewicht von der Matratze auf den kleinen Läufer verlagerte.
Die Zelte wurden abgeschlagen. In einigen Stunden wären sie alle wieder zuhause. Sowieso sind es nur ein paar Kilometer. Die Woche darauf war Dorffest im Heimatdorf von Adams Familie. Doch sie waren nicht gebeten worden ihre Buden aufzustellen. Adam wusste, sie hassten sie. Das wollte er ihnen versauen. Irgendwie. Vielleicht etwas ins Essen mischen oder die Schrauben der Kinderkarusselle lösen. Doch Adam glaubte nicht, dass er das könnte.
Auf seinen brüchigen Korksohlen das Aluminium hinab. Kein Kaffee, kein Frühstück, der Abbau sollte gleich beginnen. Doch dann schon wieder ein Pelziges. Ganz weich. Nicht weiß, kein Blitz, ganz ruhig. Fast anmutend selbstbewusst kam es in Adams Nähe. Es benahm sich nicht wie eine Katze. Adam wusste wie Katzen sind. Er kniete sich hin und hielt die Finger hin, doch sie wollte nicht riechen. Adam sagte, egal wie sonderbar du bist, der Bruder meines Ururgroßvaters hätte dich verspeist. Er war eine Attraktion. Ein Geck. Er hätte sich nicht die Mühe gemacht dich erst umzubringen oder dir das Fell abzuziehen. Er hätte dich verschlungen wie du bist. Die Katze schaute ihn unentwegt an. Aber keine Angst, sagte Adam weiter. Ich mache so etwas nicht. So ein schönes Fell. Das ist doch viel zu schön, um es zu essen. Mir würde etwas anderes einfallen, das ich damit machen könnte. Auf Adams Gesicht, ein Lächeln. Die Katze wendete sich ab und verschwand.
Adam Schiffers - 22. Nov, 11:58
14:05
Malina Suna Simon hasste nichts mehr im Leben als Warten.
Sie war Nr. 475, die blinkende Nummernanzeige schien sich einfach nicht von 280 wegzubewegen.
„Das ist wie in einem Foltercamp“, dachte sie, „zu einer Nummer degradiert, gefangen in einer Endloswarteschleife, gefangen auf einer Schmalspur, alle ziehen mit ihren Sprintern an einem vorbei, rasen zu klar definierten Zielen oder kennen zumindest die Ausfahrt.“
Sie starrte die um sie sitzenden Menschen an, den durch ihre schweißnassen Hände bereits aufgeweichten Brief fest umklammert. „Und was ist ihr Status?“ fragte mit einem Mal eine Stimme von links. Sie sah sich um. Die Stimme gehörte einem alten Mann mit spöttischem Lächeln. „Status?“ fragte sie entgeistert zurück und ging im Kopf durch, was sich mit Status assozieren ließ. Status = Existenzberechtigung, Status = Definition, Status = blödes Wort mit sechs Buchstaben, somit wahr. Dennoch ein blödes Wort. „Ich weiss es nicht!“ antwortete sie vollkommen aus dem Konzept gebracht. „Ich kriege Hartz 4, bin Langzeitarbeitsloser....“ Er wollte ein längeres Gespräch anknüpfen, ihr seine Geschichte erzählen, wollte ihr sagen, dass er ganz und gar nicht einer sei, der einfach ungerne arbeitete, im Gegenteil, dass er schon alles Mögliche an Versuchen umzusatteln unternommen hatte, aber keiner einen alten Gaul wolle. So sähen die Menschen nämlich das alte Eisen heutzutage, man werde ja mit 35 einfach ausrangiert, nichts mehr mit Respekt vor dem Alter, aber Malina Suna Simon schnitt ihm das Wort ab, dachte „Ich bin im falschen Film“, sagte: „Ich habe keinen Status, ich bin immer noch auf der Suche nach einer Existenzberechtigung“, angelte nach ihrer Handtasche und stürmte hinaus, um eine Zigarette zu rauchen. An der frischen Luft, im Freien, gestand sie sich ein, dass seine Frage nicht so blöd war wie der Status-Sachverhalt in sich und beschloss, spazieren zu gehen um über
Status zu sinnieren, während die Nummernanzeige drinnen langsam eine Nummer nach der anderen mit ihren Schicksalen konfrontierte.
Malina Suna Simon ging dreimal über den hässlichen, modernen Platz, dachte darüber nach, was Nietzsche wohl über Status und Existenzberechtigungen gedacht hatte, betrachtete immer wieder das Arbeitsamt von außen, entdeckte mit einem Mal einen Supermarkt in einer Seitenstraße des Platzes und ging nach kurzem Zögern hinein, um ihre Gedanken zu ordnen.

15:01
Malina Suna Simon schlenderte durch die Regalreihen ohne zu wissen was sie eigentlich wollte, konnte mit sovielen Reizen nicht umgehen, wurde gereizt als sie die mit säuselnder Frauenstimme schlecht gesprochenen Werbeslogans der Wurstwarenabteilung hörte, dachte „Das ist es, man müsste eine Installation, nein, eine Dokumentation in Form einer Installation über die Überreizung in dieser missratenen Gesellschaft machen, mit Aufnahmen schlechter Werbeslogans, Bildern der Waschmittelauswahl mit allen Farbreizen, mit Kindern, die schreien: „Mama, Mama, nein, es muß der Danonejoghurt sein!“ und alles übertönend diese furchtbare Musik, die angeblich die Kaufträchtigkeit steigern soll, so richtige
Happy Hippomusik."
Oder man könnte es natürlich auch einfach lassen, die Menschheit, die dannach nicht verlangte, die in ihrer ganzen Menschenfabrikation noch immer keinen Übermenschen hervorgebracht hatte, zu läutern und den Konsumismus auf anderen Wegen untergraben, um wenigstens für sich selber ein Zeichen zu setzen.
Kurzentschlossen schnappte sich Malina Suna Simon eine Zahnpasta, obgleich sie noch eine geschlosssene Tube zu Hause liegen hatte, liess sie in ihre Manteltasche gleiten, lächelte still in sich hinein über ihren anarchistischen Akt, als sie mit einem Mal eine schwache Stimme neben sich: „Das ist Betrug!“ fiepsen hörte. „Schon als Kind wird man zum Wächter über diese konformistische, kapitalistische, konsumistische Welt herangezüchtet“ dachte sie und sagte: „Betrug, Betrug. Das ist gemopst, G E M O P S T, verstehst du, sieben Buchstaben!“ Die kleine Göre entgegnete: "Das dürfen sie nicht!", Malina Suna Simon dachte und sagte noch im Denken: "Das geht dich einen Scheißdreck an was ich darf oder nicht!"
Mit hocherhobenem Kopf schritt sie an dem kleinen verdutzt aussehenden Mädchen und der Kassenschlange vorbei zur Tür. Noch vor den geschlossenen Glastüren, dem Fluchtweg ins Freie, kam ihr eine Frau mit apfelroten Wangen entgegengerannt. Offensichtlich eine Verkäuferin in Zivil. Malina Suna Simon dachte "Oje, das wird hier weder ein gelungener anarchistischer Coup, noch die Vorbereitung auf ein antikonsumistisches Manifest, das ist einfach nicht mein Tag, ich bin echt im falschen Film!" Sie streckte der seltsam freundlich aussehenden, abgehetzten Verkäuferin-in-Zivil-Frau die Zahnpasta entgegen und gab zu, sie mitgenommen zu haben. Im Allgemeinen schützten signalisierte Reue und Schuldeingeständnisse doch vor allzu harter Strafe. Die Frau allerdings sah sie nur noch breiter lächelnd an, sagte: "Is meine Lieblingszahnpasta, die kaufe ich auch immer." Malina Suna Simon verstand nur noch Bahnhof, brüllte vor Sprachlosigkeit einfach "Fuck you", so machten das doch Radikale, nach allem was sie über Radikale wußte. Szene also wieder stimmig, sie, Malina Suna Simon, in einer neuen Folge von
"Die radikale Antikonsumistin",
sie, Malina Suna Simon, die vor der dämlichen Welt wegrennt. Ein spektakulärer Abgang, durch die Glastür den starrenden Blicken der kleinen Moralapostelin und der befremdend freundlichen, anscheinend doch-nicht-Verkäuferin-in-Zivil-, entkommen.
MaLiNaSuNaSiMoN - 21. Nov, 13:27
Supermarktstories
Kühlschrank leer, Wohnung erleuchtet, der zu groß geratene, blasse Junge, von dem behauptet wird er sei ihr Sohn, nicht aufzufinden. "Franck!", ruft Viola, ihre Stimme klingt schrill dabei, unangenehm schrill, laut, zu laut, versehentlich, als hätte sie etwas nicht im Griff. Sein Schulranzen unberührt, ein abscheuliches Pink, lächerlich, denkt Viola, greift nach den Schulheften, blättert darin, erschreckt über 100 leere Seiten, verliert sich für einen Moment in 1000 leeren Kästchen, die er mit schwarzem Stift umrandet, sonst tut er nichts, denkt Viola, und für so was reißt man sich den Arsch auf.
Und der Kühlschrank noch immer leer und dem müden Körper Befehle aussprechen: Aufstehen! Schritte zählen, so wie sie es als Kind getan hat, 1326. Dann öffnet sich die Supermarkttür. Irgendwas in den Einkaufskorb werfen, irgendwas Essbares, damit der Magen aufhört zu brüllen. Zu viele Farben, die ihr entgegenstürzen, Türme bunter Verpackungen, übereinander gestapelt, eine solche Vielfalt, dass Viola schwindelig wird. Befehle an den müden Körper aussprechen: Weitermachen!
Durch die Supermarktgänge laufen, auf der Suche nach etwas sein, vor dem Kosmetikregal ein blondes Mädchen, dass "Betrug" brüllt. Plötzlich ist Viola hellwach, eine Wut übermannt sie, dieses blonde Biest, geht die doch einen Scheißdreck an. Die Frau beginnt zu laufen und Viola ihr hinterher, es funktioniert noch immer, noch immer sind Violas Beine schnell, schneller als die der Anderen. "Ey, warte mal", ruft Viola und packt der keuchenden Frau von hinten an die Schulter." Okay, ich hab die scheiß Zahnpasta geklaut", sagt sie und streckt Viola die Tuben entgegen, grüne Elmex." Das ist ja lustig", sagt Viola," ist meine Lieblingszahnpasta, die kauf ich auch immer."
" Fuck you", ruft die Frau, dreht sich um und geht weiter. "Warte mal, wir sind und schon mal begegnet, ich kenne dich dich von irgendwoher!" Viola bleibt stehen, hofft auf eine Antwort, doch die Frau verschwindet ohne ein weiteres Wort in der Dunkelheit.
Viola Knaack - 21. Nov, 04:30
Wohngebiet.
Friedrich ist eine Weile gegangen und hat ans Fahrradfahren gedacht.
Dann bleibt er unvermittelt stehen. Etwas rinnt seine Stirn hinab. Er tastet – es ist kühl – er betrachtet seine Finger – und grau. Er riecht: Es riecht auch grau. Friedrich bemerkt, dass dieses etwas vom Rand seiner Mütze tropft. Auf seiner Nasenspitze ein kühler Punkt. Es dauert einen Moment – dann zieht er die Mütze ab. Und auf ihr dieser Fleck; grau und verlaufen. Friedrich denkt an Spritzer auf Autowindschutzscheiben. Er versteht nicht.
Die Mütze zwischen zwei Fingern, steht er auf dem Gehsteig und denkt nach. Neben ihm ein Vorgarten, diesmal auf dem Rasen ein Sandkasten. Darin mehrere bunte Plastikformen, ein Puppenarm, zwei Plastikschippen und ein roter Stofffetzen. Von Kindern mitten im Spiel verlassen. Friedrich folgt einem Impuls: Er wirft die Mütze hinein.
Wir fühlen somit – also du und ich – fühlen mit dem Wegwerfen der Mütze einen Stein ins Rollen gebracht, um einen Schmetterling mit den Flügeln zu erschlagen. Kein Sturm.
Friedrich geht weiter.
friedrich2 - 20. Nov, 09:34