Mittwoch, 5. Dezember 2007

***Grenze *Stop* Grenze***

Niemand hatte es ihm gesagt. Braunscheid fuhr an diesem Tag die 4, von Wald zu Wald, von West nach Ost, einmal quer durch die ganze Stadt. 5 Uhr 12, die erste Fahrt des Tages, er lag gut in der Zeit, drei Stationen vor der Endhaltestelle kein einziger Fahrgast mehr: Wer wollte schon morgens um fünf in den Wald, Braunscheid drückte aufs Gas, als er sah, dass auch an der vorletzten Haltestelle niemand stand. Und hinter der nächsten Ecke die Rehfarm Mauer
?

Braunscheid legte die fünfte Vollbremsung seines Lebens hin (die anderen Male waren Kinder der Grund), nur wenige Zentimeter trennten ihn noch vom endlosen Grau und den zwei Gewehrläufen, die sich ihm von links und rechts näherten.

Im Deutschen ist übrigens Lebensgefahr und Todesgefahr dasselbe. Das gibt zu denken. Denn das hat ja zu bedeuten, daß zum Beispiel Gewöhnungsgefahr dasselbe wäre wie Entwöhnungsgefahr und Einsturzgefahr dasselbe wie Stehenbleibgefahr. Leider entgehen dieser Einsturzgefahr vor allem architektonische Monstrositäten, während der Lebensgefahr, genaugenommen, nur eine Totgeburt entgeht. (Wolfgang Hildesheimer, "Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge")

Adam

Es klopfte schon einige Zeit. Es war Teil von seinem Schlaf. Doch es war zu monoton, zu lange, Adam öffnete die Augen. Es klopfte immer noch. Die Wand. Braune Federmatten, sie knarrten als er sich aufrichtete. Im Wohnwagen hatte er sich vorige Nacht einsam gefühlt. Reingeschlichen, kam eine lange Eisenbahnfahrt im Fernsehen. Bis er einschlief. Adam klopfte zurück, zweimal, kurz. Das Klopfen hörte auf und setzte dann wieder ein. Es war das Zimmer seiner Brüder Jakob und Johannes. Schwer ging das Holz über das grüne Plastik. Nur Jakob war da. Das dumpfe Poltern der massiven Wand tat Adam in den Ohren weh. Jakob, sagte Adam, warum tust du das nur, das tut doch weh. Jakob antwortete mit, Bam, Bam, Bam, ich bin härter wie Stein, ich reiß das Haus hier ein. Aber Jakob, sagte Adam, wo willst du dann wohnen? Im Plingklong, sagte Jakob, im Plingklong bei den Lutscherstangen. Adam hielt ihn auf. Der kleine sah ihn nicht richtig an. Dann musste er sich übergeben. Er war so erschöpft, dass er sich schon bald schlafen legte. Adam ging auf einen Spaziergang um Wurzeln zu sammeln. Um zu den besten Wurzeln zu kommen, musste er ein gutes Stück gehen. Er war neugierig und beschloss in den Ortskern zu gehen. Grass-Wasser-Sand-Gemisch, zwischen den geriffelten, weißen Plastik Kästen entlang, auf die Straße.
Überall Autos, Menschen, tummelten sich. Adam war lange nicht der einzige gewesen, der sich das mal anschauen wollte. Adam konnte Häuser sehen, die er so noch nie sehen konnte. Es wurde irgendwie versucht etwas abzuschirmen. Oder auch nichts abzuschirmen. Als Adam das gewaltige Nichts vor sich sah, dachte er: „…der wird von dem Wein des Zornes Gottes trinken, der unvermischt eingeschenkt ist in den Kelch seines Zorns, …" (Offenbarung 14, 10)
Adam nahm sich vor einmal um das Loch herum zu laufen. Einmal einfangen, was hier passiert war. Irgendwann sah er eine junge Frau. Sie stand vor einem Geschäft herum, ganz allein. Adam dachte sich, sie ist nicht sehr viel jünger als ich, aber ein bisschen schon. Sie schaute um sich, beobachtete sie keiner? Adam kam näher. Sie nahm etwas Boden auf. Eine Tasche. Jetzt sah er es erst. Das Schaufenster war auch weg. Zerschlagen? Dann sah sie Adam an. Sie lächelte und zuckte mit den Schultern. Hey du, sagte sie, das Pony mit einer lockeren Kopfbewegung zur Seite geworfen, Lust auf ne Partie Badminton? Adam dachte daran, er hatte es schon einmal gespielt, mit Johannes, er konnte es nicht gut, Johannes, er sah schlecht, schlechte Tiefenwahrnehmung, manchmal landete der Ball auf seiner Stirn. Sie reichte ihm das dünne Metalgestell. Die kleinen gesponnenen Fädchen machten leise kurz andauernd klingende Geräusche als er mit den Fingern darüber kratzte. Auf einige Meter entfernt schlug sie den Ball zu ihm herüber. Es funktionierte, sie spielten. Viele Leute redeten, starrten ins Loch, aßen Frühstück. Lass uns da über die Ecke vom Loch spielen, sagte sie und lief dorthin. Adam folgte und sie spielten weiter. Der Gummipunkt mit den Plastikfedern segelte in verschiedensten Bögen über das dunkle tiefe Loch. Aus dem Augenwinkel sah Adam wie sich etwas durch die Luft dem Ball näherte. Schnell. Eine Katze. Die beiden Spielenden liefen näher ans Loch und sahen der Katze hinter her, wie sie immer tiefer und tiefer im Dunkel verschwand bis sie nicht mehr zu sehen war. Adam kannte die Katze, sie hatte ein schönes Fell.

FREAKSHOW

Kurz nachdem Friedrich mit der Brötchentüte verschwunden ist, hat Frau Engelot diese Meldung im Radio gehört: In der geschlossenen Abteilung des Psychiatrischen-Instituts wird seit dem Morgen ein junger Mann vermisst. Er ist mittelgroß, trägt helle Turnschuhe, Jeans und eine gelbe Jacke; außerdem wahrscheinlich eine Kopfbedeckung. Er ist verwirrt und möglicherweise nicht in der Lage sich zu orientieren. Hinweise bitte an die nächste Polizeidienststelle.
Eigentlich ist es aber anders gewesen: Kurz nachdem Friedrich mit der Brötchentüte verschwunden ist, hat Frau Engelot der Meldung zugehört. Wir wissen nämlich, dass sie schon zuvor dreimal – um zwölf, um halb eins und um eins – die Meldung gehört hat. Nur hat sie das schabende Hintergrundgeräusch des Radios nicht in Sprache übersetzt. Eben nichts verstanden.
Jetzt versteht Frau Engelot und greift zum Telefon. Sie tippt: eins, eins, dann zögert sie - den Zeigefinger auf der null. Nächste Polizeidienststelle, hat der Nachrichtensprecher gesagt. Nächste Polizeidienststelle? Sie überlegt in den gelben Seiten nachzuschauen, unter P, wie Polizei. Sie legt den Hörer zurück in die Plastikmulde – kein Freizeichen mehr.
Sie denkt: Woher weiß ich überhaupt, dass die gerade den suchen? Natürlich war der verrückt, aber Verrückte gibt es viele, ohne dass sie aus irgendeiner Anstalt ausgebrochen sind. Um die alle einzufangen, müsste wahrscheinlich gleich eine Mauer um die ganze Stadt...
Frau Engelot bleibt in diesem Gedankengang stecken und wirft einen Blick nach draußen. Eine alte Frau putzt Fenster, im Erdgeschoss des Wohnhauses auf der anderen Straßenseite. Sie kennt das Quietschen, das der Lederlappen auf der feuchten Scheibe macht. Geräusch von Sauberkeit. Dabei ist der Himmel grau. Es riecht nach Regen. Eigentlich keine Zeit zum Fensterputzen, denkt sie, und dann: Was hat das Radio genau gesagt? Gelbe Jacke. Blaue Jeans. Blaue Jeans hat ja jeder. Und gelbe Jacke?
Frau Engelot kann sich einfach nicht daran erinnern, was der junge Mann für eine Jacke getragen hat. Sie sieht nur den gesenkten Kopf. Kopfhaut mit tiefem Riss. Sonst nichts.
Außerdem Kopfbedeckung... Etwas von Kopfbedeckung hat das Radio noch gesagt. Wahrscheinlich Mütze, denkt sie und grinst. Nein. Hast mal wieder aus einem Schmetterling einen Elefanten gemacht. Nein, nein... Eine Mütze hat der sicher keine aufgehabt.

Dienstag, 4. Dezember 2007

MaLiNaSuNaSiMoN

Briefumschlag
14:05
Malina Suna Simon saß auf ihrem Perserteppich, starrte den Unterlagensalat überall ringsum auf den Holzdielen an und wollte in einem Mauseloch versinken. Wo, wie und mit was fing man an, sich einen Status oder eine Existenz zu erarbeiten? War das Leben zwangsläufig mehr Bürokratie, Arbeit an Lebensgestaltung und Überlebensverwaltung als Leben selbst?
Malina Suna Simon stand auf, stellte sich auf die Zehenspitzen vor ihr Fensterbrett und sah hinaus: Erster Schnee, Kinderlachen, ein jugendliches Liebespaar auf einem blauen Müllbeutel das den Hügel im Nachbarsgarten hinunterkugelte, rote Gesichter, glückliche Blicke, neckisches Herumalbern.
Malina Suna Simon wurde schwindlig. Alle anderen schienen einen Platz zu haben, zu wissen, was sie taten, was sie wollten, wer sie waren, konnten lachen, einfach frei heraus, unbeschwehrt, ohne Grund.
Nur sie, Malina Suna Simon war stets deplaziert wo sie auch war, wusste nicht wohin mit ihrer kleinen Existenz. Sie starrte erneut auf die Unterlagen auf dem Boden: Das war es, ihr Leben, ein einziger Papiermüll. Nichts woran sie sich festhalten konnte, nichts was ihr zeigte, das sie einmal ein Leben, einen Platz gehabt hatte, außer einem Stapel verdammtem Papier.
Malina Suna Simon setzte sich erneut auf den Fußboden und begann zu schluchzen, so entmenschlicht klingend zu schluchzen, dass sie selbst über das Geräusch erschrak und verstummte.Kontakt zwischen Körper und Geist getrennt.
Sie stolperte in ihre amerikanische Wohnküche, stieß sich dabei den Kopf an der Flurlampe, fluchte laut vor sich hin, öffnete ihre in einem Globus versteckte Minibar und legte sich auf die Küchendielen. Auf dem Bauch liegend, den Kopf in die Handflächen gestützt, die Decke im Visier, nahm sie hastige, große Schlücke aus einer Flasche billigen Pina Coladas.
Mit Leeren nur Leere, keine Leichtigkeit, keine Lebendigkeit, kein Lebensdurst.
Malina Suna Simon schritt zum Äußersten: Sie angelte nach dem im Backofen verborgenen Kästchen für schlechte Zeiten und zog ein Bündel Briefe heraus. Schon bei Betrachten der Handschrift auf den Umschlägen wurde ihr schwindelig.
Vergangenes rauschte an ihr vorbei wie ein Film, der mit ihrem Leben nichts weiter zu tun hatte: Sie sah eine Malina Suna Simon Protagonistin die Briefe aus dem Briefkasten holen, glücksüberströmt, nervös, sie freudig, hastig öffnen, ohne Grund lachen, frei heraus. Sie sah die Protagonistin mit dem Verfasser der Briefe. Von außen: Zwei lachende Gestalten die eins wirkten.
Die Protagonistin von innen: Eins mit der Welt.
War sie noch dieselbe von damals? Während sie versuchte darüber nachzudenken wurde sie so müde, dass sie beschloss, einfach wieder schlafen zu gehen.
Am nächsten Tag, so dachte Malina Suna Simon während sie eine Schlafmaske aufsetzte, um nicht vom Tageslicht geblendet zu werden, würde sie sich ganz neu definieren und erfolgreich werden. Einfach bei der Oberfläche anfangen, zum Friseur gehen und sich mit ihren Haaren auch der Protagonistin und dem Verfasser entledigen.



12:00

Malina Suna Simon starrte entgeistert abwechselnd von ihrem Wecker auf ihre Armbanduhr und von ihrer Armbanduhr auf ihren Wecker. Sie hatte nicht ernsthaft an die 18 Stunden geschlafen.
Noch schlaftrunken zündete sie eine erste Zigarette an und betrachtete rauchend ihr Gesicht im Spiegel neben dem Bett: Schwarzer Strubbelkopf, verschmiertes Make-up vom Vortag.
Gerne hätte sie sich wieder die Decke über den Kopf gezogen und aufgegeben. Alleine zum Friseur zu gehen schien ihre eine unzumutbare Herausforderung.
Draußen auf der Straße, so sah sie aus ihrem Fenster, Weltuntergangsstimmung, ein Massenauflauf. Bedrückte, entsetzte Gesichter. Aneinandergeklammerte Winterwollpakete. „Einmal eins mit der Welt!“

Montag, 3. Dezember 2007

FREAKSHOW

Friedrich berührt den Metallrahmen des Zeitungsständers, der gibt mit einer leichten Drehung nach. Er zieht die Hand zurück.
Ein Kiosk. Friedrich hat Hunger. Eigentlich zum ersten Mal, denn in der Psychiatrie war Hunger anders. Kein zwingendes Problem, nie dieser Schmerz. Friedrich findet, wie ein Loch im Bauch fühlt er sich an, Hunger. Er sieht sich unschlüssig um.
Menschen stehen auf dem Gehsteig. Warten. Dann bleiben Autos stehen – das Motorengeräusch wird ruhiger, und Menschen gehen gleichzeitig über die Straße. Dazu die roten und grünen Lichter. Ein Spiel.
Kann ich Ihnen weiterhelfen?
Friedrich dreht sich um. Eine Frau blickt ihm durch das quadratische Verkaufsfenster entgegen – einen Moment weiten sich ihre Augen, dann senkt sie den Blick.
Friedrich geht zögerlich näher. Die Frau hat ein rundes Gesicht und kurze graue Haare; ihre Finger drehen unablässig einen Kugelschreiber. Friedrich sieht Preisschilder und mit einem Mal sind Striche, Striche und Striche; rotleuchtende Striche überall.
Also, suchen Sie etwas bestimmtes?
Suchen? – Striche, genau eintausenddreihundertundzwölf Striche, und Friedrich lässt den Kopf sinken. Er denkt an das Brummen in der weißen Röhre.
Nein – Suchen? – Ich wollte – fragen: Essen? – Krieg ich hier etwas zu – Essen?
Klar! Alles mögliche... Sie sehen’s ja selbst. Also, ich hab zum Beispiel grad frische Brötchen...
Brötchen – sind lecker. Ich will drei – Brötchen.
Okay, drei Brötchen. Die Frau legt den Kugelschreiber beiseite, greift hinter sich und steckt drei Brötchen in eine Papiertüte. Sie lächelt, doch Friedrich starrt noch immer auf den Asphalt. Seine Kopfhaut durchzogen von einer tiefen Narbe. Ein kahler Streifen, wie ein viel zu breiter Scheitel. Es dauert einen Moment, dann sagt die Frau: Das macht dann einen Euro fünf.
Was – einen – was?
Die Frau sagt betont deutlich: Einen Euro und fünf Cent. Wenn Sie kein Geld haben, dann kann ich Ihnen leider auch nichts geben. Ich meine, wenn ich hier jedem der bettelt... Das geht nicht.
Was? – Ich weiß nicht – aber ich hab doch – Hunger!
Friedrich beginnt leise zu weinen, mit hängendem Kopf, bewegungslos.
Jetzt hören Sie auf. Und gehen Sie bitte! Sie müssen das...
Friedrich bleibt stehen: Aber ich hab doch – Hunger...
Gut, schon in Ordnung. Dann nehmen Sie eben die Brötchen, aber verschwinden Sie jetzt! Vertreiben ja die Kundschaft...
Friedrich hebt den Kopf. Seine Augen noch nass, glänzen: Danke sehr – Frau...
Bitte sehr!
Danke sehr – Frau... Wie heißt du – Frau? – Dann sag ich’s richtig – Danke sehr Frau...
Engelot.
Danke – sehr Frau – Engel – lot. Friedrich ist zufrieden und will die Brötchentüte nehmen. Frau Engelot seufzt und schüttelt den Kopf. Dann greift sie hinter sich und legt noch ein Fünfer-Pack Bifi auf den Tresen. – Und jetzt sieh zu, dass du Land gewinnst.
Friedrich versteht sie wieder nicht, aber er geht.

...

Das Loch hat einen ganz unangenehmen Geruch, genauer gesagt ist er nicht unangenehm in dem Sinne, dass er schlecht riecht, er ist unangenehm, in höchstem Maße unangenehm, da er schlichtweg unbekannt ist. Das Schlimme ist, er ist ganz sicher unbekannt! Manchmal mag man ja bei dem ein oder anderen Geruch ins Grübeln kommen und sich fragen, wo man so etwas wohl schon einmal gerochen hat, kann sich nicht recht entsinnen, bleibt dennoch der Meinung jenen Geruch zu kennen. Bei dem Loch ist es anders. Hier ist ganz sicher, dass man noch nie (noch niemals!) etwas Vergleichbares gerochen hatte. Niemand!

Pina hat Schulschluss, schlendert die Straßen entlang, Steinstraße, Parkallee, Hollweg. Loch. Nur mal gucken. Noch 20 Meter, 15, zehn. Sie atmet. Aus erst. Aus. Dann natürlich ein. Muss sie ja jetzt.

Die Luft samt dieser anormal riechenden Moleküle, vollkommen unirdische Moleküle, die vielleicht vergessen wurden, Unmoleküle gelangen in ihre Nasenhöhle, krabbeln einfach hinein, weiter, weiter:

Essig, beißend, Minze, grün wird zu lila, faules, eckiges kämpft mit rundem, rot-weiß, weiß-rot, Blumenduft, nein Benzin, Hitze, blaublau, Elektronik, Zimt, gelb oder gold, Schweiß, Schaum, Kreise drehend, dschungelförmige Punkte, vorne Säuren, Strom, wann Plastikhagel, schwarz wie weiß, Gleißen, kreisen, fallen, steigen, Sucht, schreiendes Orange, Unform, brüll, Flaum, Schaum, Flaum, nichts, Wolke, dann Messer, Maschinen, gelbes Kreischen, künstliche Berge Berge über, Montag?, Abschaum, spitze Kälte, Schwall schallt, zuhin rück hirn hin ruck, lila, blau, lila orange oran gel ge grü bl au schw graro nis ch ts all brabla weschwweiarzeiß zßzßz ßzzß ß z …

Eingemachte Apfelsinenspatzen

MVCAQJ7RAFCAPTZ8F3CANEJ6P3CAQU7HUHCAKIJUGNCA5OF462CAX8FWXPCAEMDKM3CALONG2BCA92RDLZCA1M6F62CARXFTOICAZL2H3ICAK8D2IQCAQNMSC0CAUJUY1SCA2H2E95CAIRR6TICAFQUC70(…)
Den nächsten Augenblick war sie ihm nach in das Loch hineingesprungen, ohne zu bedenken, wie in aller Welt sie wieder herauskommen könnte.
Der Eingang zum Kaninchenbau lief erst geradeaus, wie ein Tunnel, und ging dann plötzlich abwärts; ehe Alice noch den Gedanken fassen konnte sich schnell festzuhalten, fühlte sie schon, daß sie fiel, wie es schien, in einen tiefen, tiefen Brunnen.
Entweder mußte der Brunnen sehr tief sein, oder sie fiel sehr langsam; denn sie hatte Zeit genug, sich beim Fallen umzusehen und sich zu wundern, was nun wohl geschehen würde. Zuerst versuchte sie hinunter zu sehen, um zu wissen wohin sie käme, aber es war zu dunkel etwas zu erkennen.
Da besah sie die Wände des Brunnens und bemerkte, daß sie mit Küchenschränken und Bücherbrettern bedeckt waren; hier und da erblickte sie Landkarten und Bilder, an Haken aufgehängt.
Sie nahm im Vorbeifallen von einem der Bretter ein Töpfchen mit der Aufschrift: "Eingemachte Apfelsinen", aber zu ihrem großen Verdruß war es leer. Sie wollte es nicht fallen lassen, aus Furcht Jemand unter sich zu tödten; und es gelang ihr, es in einen andern Schrank, an dem sie vorbeikam, zu schieben.
(…)
"Hinunter, hinunter, hinunter! Wollte denn der Fall nie endigen? "Wie viele Meilen ich wohl jetzt gefallen bin!" sagte sie laut. "Ich muß ungefähr am Mittelpunkt der Erde sein. Laß sehen: das wären achthundert und funfzig Meilen, glaube ich -; " (denn ihr müßt wissen, Alice hatte dergleichen in der Schule gelernt, und obgleich dies keine sehr gute Gelegenheit war, ihre Kenntnisse zu zeigen, da Niemand zum Zuhören da war, so übte sie es sich doch dabei ein.) -; "ja, das ist ungefähr die Entfernung; aber zu welchem Länge- und Breitegrade ich wohl gekommen sein mag?" (Alice hatte nicht den geringsten Begriff, was weder Längegrad noch Breitegrad war; doch klangen ihr die Worte großartig und nett zu sagen.

Bald fing sie wieder an. "Ob ich wohl ganz durch die Erde fallen werde! Wie komisch das sein wird, bei den Leuten heraus zu kommen, die auf dem Kopf gehen! die Antipathien, glaube ich." (Diesmal war es ihr ganz lieb, daß Niemand zuhörte, denn das Wort klang ihr gar nicht recht.) "Aber natürlich werde ich sie fragen müssen, wie das Land heißt. Bitte, liebe Dame, ist dies Neu-Seeland oder Australien?" (Und sie versuchte dabei zu knixen, -; denkt doch, knixen, wenn man durch die Luft fällt! Könntet ihr das fertig kriegen?) "Aber sie werden mich für ein unwissendes kleines Mädchen halten, wenn ich frage! Nein, es geht nicht an zu fragen; vielleicht sehe ich es irgendwo angeschrieben."

Hinunter, hinunter, hinunter! Sie konnte nichts weiter thun, also fing Alice bald wieder zu sprechen an. "Dinah wird mich gewiß heut Abend recht suchen!" (Dinah war die Katze.) "Ich hoffe, sie werden ihren Napf Milch zur Teestunde nicht vergessen. Dinah! Miez!
Ich wollte, du wärest hier unten bei mir. Mir ist nur bange, es giebt keine Mäuse in der Luft; aber du könntest einen Spatzen fangen; die wird es hier in der Luft wohl geben, glaubst du nicht? Und Katzen fressen doch Spatzen?" Hier wurde Alice etwas schläfrig und redete halb im Traum fort. "Fressen Katzen gern Spatzen? Fressen Katzen gern Spatzen? Fessen Spatzen gern Katzen?"
Und da ihr Niemand zu antworten brauchte, so kam es gar nicht darauf an, wie sie die Frage stellte. Sie fühlte, daß sie einschlief und hatte eben angefangen zu träumen, sie gehe Hand in Hand mit Dinah spazieren, und frage sie ganz ernsthaft: "Nun, Dinah, sage die Wahrheit, hast du je einen Spatzen gefressen?" da mit einem Male, plump! plump! kam sie auf einen Haufen trocknes Laub und Reisig zu liegen, -; und der Fall war aus.7UCAXFBKGQCA7222YOCA19O19DCALXMA0LCANOJ4HFCAGWHF47CAISVGN5CA2F2W72CALGZD25CAZZC4LICA0VZ84KCAFM6FDOCADQICWRCATBQHCNCAGF79RHCAKXDXZFCAH543QJCAPCI8E3CA30RX58
(…)


(aus: Alice im Wunderland, Lewis Carroll)

Sonntag, 2. Dezember 2007

mr & ds & pl & wm & pl & wm & pl & wm & pl

Pepe am Loch. Pepe – schnuppert. (Warum?) Kater schnuppern, denkt er. Der Mann vom Rummel, ein Riss an der Seite (heißt das in der Erde nicht Spalt?), die Absperrung hier, mangelhaft. Das Mädchen, schön, immer noch das Lied. (Was willst Du grad von diesem Mann wo Du so viele andere haben kannst. Ist er nicht nur ein Zeitvertreib für Dich?). Zwei Schläger, ein Ball (und nun?); Pepe sieht den Ball, der Ball fliegt, Pepe springt, Instinkt (da kann man nichts machen), zieht den Ball mit in die Tiefe (mit den Krallen gekriegt, Pfotenfang), fällt. Denkt:

Loch1 [n. 4] 1 Öffnung, Höhlung, Lücke; ein L. im Zaun; ein L. graben; ich werde ihm zeigen, wo der Zimmermann das L. gelassen hat [derb] ich werde ihm die Tür weisen, ich werde ihn hinauswerfen; Schwarzes L. [Astron.] nicht leuchtender Stern mit sehr dichter Masse; das reißt mir ein L. in den Geldbeutel das kostet viel, das ist teuer; auf dem letzten L. pfeifen [ugs.] finanziell am Ende sein, sehr krank sein ein L. im Magen haben [ugs.] sehr hungrig sein; jmdm. ein L., [oder] Löcher in den Bauch fragen [ugs.] jmdn. dringlich ausfragen; Löcher in die Luft starren [ugs.] vor sich hin starren; er säuft wie ein L. [derb] 2 [bei manchen Tieren] Höhle, Bau (Fuchs~, Mause~); die Maus verschwand in ihrem L. 3 [Golf] Höhlung im Boden (in die der Ball geschlagen werden muss) 4 [ugs.] armselige, dunkle, kleine Wohnung oder ebensolches Zimmer; in einem L. hausen 5 [ugs.] Gefängnis; jmdn. ins L. stecken; im L. sitzen 6 Lücke, Fehlendes, Fehlbetrag (Milliarden~, Haushalts~) 7 [vulg.] After, Vagina 8 [als Schimpfwort kurz für] Arschloch; diese Löcher!

Hört im Fallen (die Anderen auch? Welche Anderen?)

Wenn man in ein Dimensionsloch stolpert, stürzt man in alle Richtungen gleichzeitig, nach unten, oben, rechts und links, nach Norden, Süden, Osten und Westen. Man fällt außerdem durch die Zeit, und zwar rückwärts mit doppelter Lichtgeschwindigkeit ...

Kurz das Gefühl der Zerrissenheit (tief um mich, da ist ein Loch, ich bin reingefallen, und lebe noch / Die Schwerkraft ist überbewertet man braucht sie gar nicht wie man wohl am Weltraum sieht), aber das nur im Kopfohr, dann wieder, hören das die Anderen auch (und noch Mal: Welche Anderen?)

Wodurch man sich, während man stürzt, zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort des Universums gleichzeitig befindet. Das ist zunächst sehr verwirrend. Versuchen Sie bitte gar nicht erst, sich diesen Raum vorzustellen!

Nicht dazu kommen, darüber nachzudenken, fallen (aber nicht so wirklich), woanders sein, gleichzeitig (Wo ich mich eigentlich befinde, ist in der Rinde dessen, was mich eigentlich umgibt), das ist schon nicht so einfach, Herr Kowalski - Sir, wenn ich bitten darf! (Gute Nachrichten aus dem Funkloch meiner Einsamkeit, hier traben die Hunde entlang der Pfade, durch das Gras, hier die bevölkern die Stummen den fallenden Garten, hier fliegen die Tauben unter meinen Händen, dass ich das Weiße spüren kann, wir misstrauen den Spiegeln, die eine Fratze zeigen, sonst war nix, nein sonst war nix, sonst war nix, sonst war nix; da leg ich mich nieder und fang mir einen Traum. Wach wieder auf, fang an zu trappen, Blick in die Decken, öffne die Tür)

Es ist eigentlich ganz einfach, sich einen Quadratmeter des Dimensionslochraums vorzustellen, vorrausgesetzt, man hat mindestens sieben Gehirne: Stellen Sie sich einfach einen Zug vor, der mit einer Kerze auf dem Dach durch ein schwarzes Loch fährt, während Sie selbst mit einer Kerze auf dem Kopf auf einem Glockenturm auf dem Mars stehen und eine Uhr aufziehen, die genau einen Quadratmeter groß ist, und ein Uhu, der übrigens auch eine Kerze auf dem Kopf trägt, in entgegengesetzter Richtung zum Zug und mit Lichtgeschwindigkeit durch einen Tunnel fliegt, welcher gerade von einem anderen schwarzen Loch verschluckt wird, das ebenfalls eine Kerze auf dem Kopf trägt (sofern Sie sich ein schwarzes Loch mit einer Kerze auf dem Kopf vorstellen können, dazu benötigen Sie mindestens vier Gehirne). Verbinden Sie die vier Punkte, an denen die Kerzen brennen, mit einem Buntstift, und Sie haben einen Quadratmeter des Dimensionslochraums. Auf der Uhr können Sie übrigens nachsehen, wie spät es auf dem Mars ist, sogar im Dunkeln, denn Sie haben ja eine Kerze auf dem Kopf.

Saloppe Katatonie (da kann man nichts machen / Ich oder du oder irgendwer die Straße entlang wie ein fallender Stern), und wie jetzt weiter (will ich hier wieder raus? / Doch wir werden an dieser Stelle so nicht enden wie ein fallender Stern) Gegenwehr, krallen (Krallen) in das Nichts (Ich legte meinen Kopf zwischen, zwischen die Sterne und fiel, und fiel, und fiel in die Nacht; ich legte meinen Kopf, ich legte meinen Kopf an eine offene Stelle und fiel, und fiel, und fiel in die Nacht); Weiß ist (ich) das neue Schwarz.

Und der Vogel, der sang
Aus dem runden Loch der Nacht

Auswertung Nr. 1

Fritze Wegner kennt niemanden. Niemand kennt Fritze Wegner.
Fritze Wegner hat größer werdende Löcher in seinem Kopf. Fritze Wegner kann nicht mehr beobachten, das Kabinett ist ausgewachsen. Fritze Wegner kann noch manchmal notieren:

Jung sein ist viel, jung sein verändert sich, jung sein gibt es nicht in einer zu kleinen Welt.

Manchmal sitzt er neben dem Schild, das die Sperrzone markiert und wartet auf einen Befehl.

Adam

"Ich bin hinabgegangen in den Nußgarten, zu schauen, ob der Weinstock sproßt, ob die Granatbäume blühen."

Hoheslied 6, 11

...

Duk, und Mladenka sei aufgewacht, mit diesem Wort im Ohr den Ton, den Kopf am Eisenring der Speichertür. Von der anderen Seite Schritte, mehrere, nicht die der Ziegen, ganz und gar nicht, eher Spinnenfüße mit Holzklumpen. Sie hätte Angst die Sprache, die Sprachen zu verlieren, weil sie Angst hatte, allein auf dem Taubenspeicher, auf dem Boden und die unregelmäßigen, Schauer erregenden Schritte auf der anderen Seite, und hätte sie gewusst von diesem Kerker in einem Kerker, sie hätte sich vor Jahren schon an die Flügel des Albatros gehangen … und dann hätte sie die Tauben hineingepfiffen, das Fenster zum Himmel zugenagelt und Zeilen vor sich hingebet, flüsternd, nicht, weil sie an Gott glaube, sondern an die Bilder im Schuhkarton und an das, was hinter den Bildern sei und dann hielt sie eins in der Hand, mit dem Mann auf dem Bett vor dem Buch an der Tischkante … und die Worte, die sie betete, mehrere Male betete, seien gewesen, wer überm Leben schwebt und mühlos kennt der Blumen Sprache und der Dinge Schweigen ...

Photo Sharing and Video Hosting at Photobucket

Samstag, 1. Dezember 2007

Persönliches Tagebuch F. Wegner

Sie sagen 12 Tage, 12 Tage hätte ich verloren, weiß aber, dass es mehr sind. Bin sehr alt geworden, älter als ich je war und die Welt ist so jung und doch so wie früher als ich hätte jung sein sollen. Es müssen mehr Tage sein, Jahre vielleicht, die Schwester sagte, das Rathaus sei verschwunden, habe gefragt, ob's die Russen oder die Amis gewesen sind, Schwester (Polin, über Dreißig, dürr, freundlich), sah mich nicht an. Frau Kluge (78 Jahre, verrückt, dement ) redete von Außerirdischen, im Kopf ist sie schon lange fort, denkt sie ist 17. Bin dann wieder eingeschlafen, habe wieder geträumt von verschwundenen Gebäuden, stattdessen nur Steine. Man wollte nach Hause und findet wieder nur Schlachtfelder, dann Abflussrohre jeden Tag bis abends dreiviertel sechs, eine Frau, die sagt, ich bin ein junger starker Bursche, zwei blonde Kinder, die sagen, ich bin ihr Papa. Abflussrohre, Mann, Abflussrohre, Papa, Abflussrohre, Opa, Beerdigungen und immer wieder die kalten Schlachtfelder. Wache auf in warmen Federn im Lazarett. Frau Kluge schimpfend auf die Außerirdischen und die Polen "Mein Vater kriegt euch alle, Judensäue!", Spritze in den schlaffen Unterarm. Habe zu viel Zeit verloren, gehe hinaus, ein besorgter Doktor Fleischer. Glaube, ich müsste etwas tun, weiß nicht mehr was. Jemand sagt, das Rathaus ist verschwunden, ich frage nach Steinen für einen Stall für die Hühner, die meine Frau gern hätte. Jemand sieht mich nicht an. Es gibt jetzt eine Sperrzone. Das ist besser so.

Freitag, 30. November 2007

***Grenze *Stop* Grenze***

bhutan_1987Und heute haben sie alles abgesperrt.- Das Innere ist jetzt auch außen sichtbar. Jeder bleibt in seinem Bereich. Man ist isoliert und seit drei Komma fünf Stunden habe ich keinen Menschen mehr gesehen. Sie haben für das Wichtige gesorgt. Man kann etwas essen und sich Bewegung verschaffen. In seiner Fleckexistenz. Es gibt nicht nur die eine Welt. Es gibt mehrere Welten, die ineinander greifen. Und sich gegenseitig nicht mehr loslassen. Aber du überschneidest dich. Und sie zerschneiden dich. Schnipselsalat. Und siehst du einen, ist er nicht so, wie er drüben ist. Wie er woanders sein könnte. Adaption. Existenz. Noch nie was Absolutes. Als wärst du verschluckt worden. Um woanders zu sein. Woanders ins Leben zurück gespuckt zu werden.
Und seit sie heute alles abgesperrt haben, mache ich halbe Hoppler. So fällt mir nicht auf, das jetzt alles weniger ist. Ich muss nicht an die Grenze kommen. Sie nicht sehen. Das ist Freiheit.

Frei. Nur noch die Tauben.
K4CA41WOPJCAGOYN4ACAW8DJJ9CA6MBODECAF9B4OQCAI9XEJHCAGOTHN4CAP82V74CADIM0YSCAYIRDSXCA39EETGCAO0EFBNCADBYM5KCA2M3Y7BCAJ7L0ROCAU8K091CAD9C704CAW401Q6CA23NR4C

[***Grenze *Stop *Grenze***]

DDR_Ausstellung_8_D_200903g

FREAKSHOW

Bericht einer Krankenschwester
Tonbandaufnahme

Ich weiß noch, wie der Friedrich aussah, als er zu uns gekommen ist: scheußlich, sag ich Ihnen, scheußlich... Man wünscht so was ja keiner Mutter; so was wie... Ich kann schon verstehen, dass die Frau ihn weggeben hat. Hätte ich wahrscheinlich auch getan oder du hast ein Leben, das sich nur noch um den Jungen dreht. Außerdem haben die Ärzte gesagt, es wäre das Beste so, auch für den Friedrich. Aber, was ist schon das Beste...? Keine Ahnung! Also, was ich sagen kann, ist, dass da schon Fehler gemacht worden sind. Die Ärzte haben ja gedacht, der Friedrich könnte nicht sprechen und würde es nie lernen, bis er dann sein erstes Wort gesagt hat. Da erinnere ich mich noch, wie heute dran: Es war Herbst. Wissen Sie, die Zeit wo’s noch warm ist, tagsüber, aber abends, da zieht’s ruckzuck an. Na ja... Jedenfalls hatte ich vergessen in Friedrichs Zimmer das Fenster zu zumachen, und mit einem Mal sagt der Kleine, er war da so sieben oder acht, sagt mit einem Mal: offen. Einfach so... Mit glockenklarem Stimmchen und zeigt zum Fenster. Ich bin also erst mal zum Fenster gegangen und hab’s zugemacht, und dann ist es mir aufgefallen.
Friedrich! hab ich gerufen, du kannst ja sprechen!
Aber der hat mich nur angeguckt, wie ein Mondkalb. Und als ich dann gleich danach dem Chefarzt davon erzählt habe, wollte der’s mir gar nicht glauben.
Unsinn, hat er gesagt, medizinisch vollkommen unmöglich!
Und wie um mich zu ärgern, hat der Friedrich dann wirklich erst mal nichts mehr gesagt, die nächsten Wochen, und die werten Kollegen haben schon gedacht, ich hätte eine Schraube locker da oben. Wollten mich schon gleich über Nacht da behalten! Ich sag’s ihnen... Trotzdem habe ich viel mit dem Friedrich gesprochen, und ihm gut zugeredet, er soll doch etwas sagen. Manchmal hatte ich fast das Gefühl, der Kleine will mich ärgern: das hat man schon immer gesehen, dass in dem komischen Kopf etwas vorgeht! Ist ein ganz Schlauer, der Friedrich, und weiß es auch. War aber auch ziemlich niedlich, als Kind, wenn man sich an den Anblick erst mal gewöhnt hatte, wirklich zum Kneifen. Er wusste schon, wie man es anstellt mit den Frauen, wenn sie verstehen, was ich meine. Er hat so was an sich, so was
bauernschlaues. Ja... Der Friedrich ist mir doch ans Herz gewachsen. Ein bisschen ist er ja auch mein Kind, schließlich kenn ich ihn von klein auf. Und am Ende war er immer so was wie ein Lichtblick, bei all dem Scheußlichen hier in der Geschlossenen. Ein Grund sich auf die Arbeit zu freuen... Hoffentlich geht alles gut und morgenfrüh, wenn ich komme, sitzt er schon wieder pünktlich auf seinem Bett und wartet aufs Blutdruckmessen.
Hoffentlich geht alles gut, da draußen.
Vielleicht kommt er ja sogar alleine ganz gut zu recht, wenn er sich erst mal eingewöhnt hat. Vielleicht... Aber was zerbrech ich mir den Kopf. Man weiß ja doch nie wie’s kommt. Alles was ich sicher sagen kann: Ich brauch jetzt einen Kaffee!
Sie auch einen?

Donnerstag, 29. November 2007

Adam

"Die zwei Engel kamen nach Sodom am Abend; ..." 1. Mose 19, a

Überordnung: Euarchontoglires, Ordnung: Rodentia, Unterordnung: Hystricomorpha, Familie: Bathyergidae. Deswegen hatte Adam seinen vorwiegend weiblichen Schützlingen in dem großen Terrarium ein weites Erdreich erschaffen, indem sie sich ganz ihrer Art nach ausleben durften.
Wieder heim, die Kolonne auf dem Grün vor dem grünen Drahtgeflecht, über allem thront „Zuckerwatte“ in altem rosa. Zuhause in seinem kalten Brettergezimmer, nah dem Wald, manchmal regnete es rein. Dunkelheit, schwarze Erde auf heller Haut, freie, lange Klingen. Die zwei Männchen lebten separat in einem kleineren Glaskasten. Unmöglich sie alle zusammenleben zu lassen. Die Population würde zu schnell ansteigen. Die Königin ließ er so wenig wie möglich begatten. Nur ungern tötete er zu zahlreichen Nachwuchs. Im eiskalten Wasser konnten sie nicht atmen. Dann wieder in die Erde. Manchmal sah er die Katzen sie fressen. An der Glasfront konnte er sie an manchen Stellen beobachten. Doch die Weibchen entzogen sich seiner Kontrolle, im Gegensatz zu den Männchen, mit denen er sich oft beschäftigte. Ihren allgemein bekannten, nicht biologischen Namen haben die Tiere ihrem aussehen nach. Adam griff ein Männchen. Es war ganz ruhig in seiner Hand. So nah, mit der Hand auf dem kleinen Körper. Adam wusste es besser. Feine dünne, fast unsichtbare Härchen, ganz weich.
Es war wieder hell. Das kleine Stück Plastik mit Antenne tönte seit Stunden nur blechernd. Adam nahm es eigentlich nicht wahr. Nur keine Stille. Eine Stimme, sie wurde klar. Verschwunden? Ein Loch? Adam wollte den Kopf schütteln. Dann freute er sich ein bisschen.

Mittwoch, 28. November 2007

Kontratanz

E8CALVS675CAQV6BT3CAWBBFRNCA1LR5RJCAHRY1OPCA4XPZ3CCADOAF7ACA4039CMCAFE8029CAL510M6CAGPEKOKCACYF9HLCAXHHKGGCAR5J1S0CAZNDEQ2CAKJ2CSBCA1DTI5FCAQ57RFFCA8GHFV3Der Rathausbau wurde in der Regel im Zentrum der Städte errichtet. Der Rathausturm beherbergte oft die einzige Uhr der Stadt.

Er ist jetzt da. Am Rand der Mitte. In der Mitte des Randes und sieht nichts. Vielleicht ist nichts zu sehen, weil alles normal ist. Manchmal ist wieder alles wie immer, wenn Altes fort ist, es endlich anders ist, als jemand etwas verändert hat. Was Anarchie ist, wusste er nicht. Es konnte ihm nur auffallen, wenn keine vorhanden war. Es könnte sein, dass jetzt Anarchie ist, weil jemand die Mitte geklaut hat. Im Traum war das einfach, er konnte die Anarchie riechen und selbst ein Keks schmeckte danach, als die Anarchie Töne zu machen begann. Man konnte nicht wissen, ob der Geruch diese machte oder die Urheberin selbst. Tauben bringen die Freiheit auf Flügeln. Vögel werden seltsam und reißen Haare aus dem Kopf, wenn sich Krallen in Kopfhaut verankern. Die mächtige Mitte mit ihren Zeigern war fort. Raum und Zeit also mit ihr. Ort noch da. Anarchie jetzt auch. Checkliste ende.

Der Begriff Anarchie (griech. ἀναρχία, „Herrschaftslosigkeit“; Derivation aus α privativum und ἀρχή, „Herrschaft“) bezeichnet einen Zustand der Abwesenheit von Herrschaft.

Jetzt beginnt er sich umzuschauen und es ist alles anders, wie immer. Er könnte Leute beobachten, wenn er nur wollte und das wunderbar von unten. Ein Mann neben einer Laterne rechts frontal vor ihm. Kommt vom Arzt. Manchmal hatte er danach Früchte gegessen. Er hatte sie mit seinem schärfsten Messer zerteilt, alle Kerne entfernt und sittsam auf einem Teller nebeneinander gereiht. So hatte alles seine Ordnung. Und Ordnung war sein ganzes Leben gewesen, bis eine rothaarige, vielleicht blonde Frau Liebeskummer gehabt hatte, sich ihren Leopardenfellmantel anzog, beschloss sich noch einmal jung zu fühlen und sich den pinkfarbenen Lippenstift nachziehend in eine Autokarawane gerast war. Seit diesem Tag helfen ihm Leute für Geld in die Strümpfe. Seit diesem Tag muss er auf den Boden schauen, wenn Blicke ihn auf der Straße wie Pfeile treffen. Und seit die Pfeile in seinem Gesicht öfters stecken bleiben, hat es noch einige Löcher dazu bekommen.
Zeitlupe. Alles schwebt an ihm vorbei. Schwebt in seinem eigenen Rhythmus. Unter Wasser. Alles ist untergetaucht. Weiter nicht. Sonst hört alles auf zu atmen. Zirkulation gestört. Die Luft ist still. Stiller als Atem. Alles atmet im Takt. Ein kleines Mädchen. Es stürmt in ihr. In Bewegung sein. Zirkulieren. Tief im Takt atmen. Zu ihren Träumen tanzen. Tanzen und tanzen und nicht mehr aufhören. Tanzen und lachen. Lachen und tanzen und tanzen und lachen. Sie lacht und tanzt dazu. Sie hört sich lachen. Auch dann noch, wenn sie aufwacht.

...

Wieder gut

Braunscheid hatte Verständnis dafür, dass ihn die meisten Fahrgäste unfreundlich behandelten, da er wusste, dass sich die meisten seiner Kollegen nur durch das Brüllen einiger weniger Vokabeln (“Endstation!”, “Aussteigen!”, “Jetzt aber mal los hier, ich hab Pause!“) mit ihnen verständigten. Umso mehr war er darauf bedacht, nett zu den Menschenmassen zu sein, die sich tagtäglich an ihm vorbeischleppten, ihre Fahrausweise in Braunscheids Sichtfeld platzierten und nicht merkten, dass er die gar nicht sehen wollte, sondern sich voll und ganz der lächelnden Betrachtung ihrer Gesichter hingab. Wer interessierte sich schon für die blassen Passbilder und den Gültigkeitsaufdruck auf den Ausweisen?
Und dann stand an der Haltestelle Steinweg, an der wegen der nahe gelegenen Schule zu den entsprechenden Stoßzeiten immer viele Kinder einstiegen, plötzlich das kleine Mädchen neben ihm. Er hatte in der vorherigen Nacht lange wach gelegen und darüber nachgedacht, wie er sich für seinen Ausraster bei ihr entschuldigen könnte, falls er sie - und das war aufgrund der niedrigen Einwohnerzahl der Stadt und seiner Knotenpunktposition als Busfahrer sehr wahrscheinlich - einmal wieder treffen sollte. Aber ihm war nicht eingefallen, wie er seinen ungeheuren Fehler jemals wieder gut machen konnte. Und da stand sie nun, ganz anders, als er sie sich seit dem furchtbaren Crash immer wieder vor Augen gerufen hatte, auf atemberaubende Weise gewöhnlich, ein blondes Kind mit riesigen Augen, entschlossen, fast wild - kein zerbrechliches Ding, dass sich durch eine Unachtsamkeit sofort in einen heulenden Scherbenhaufen verwandelt hätte.
Erst als das Mädchen ihm seine Monatskarte entgegenhielt, schien es Braunscheid zu erkennen. Der sagte mutig: “Guten Tag”, und das Mädchen: “Guten Tag”. Aus Mangel an weiteren Worten drückte Braunscheid auf den roten Knopf unter seinem Finger - die Türen schlossen sich, Braunscheid fuhr an.
“Jetzt schauen Sie doch nicht so”, sagte das Mädchen und holte tief Luft: “Für unseren gestrigen Zusammenstoß möchte ich mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Die Schuld liegt ganz bei mir - ich war unaufmerksam. Geht es Ihnen gut?”
“Danke, ausgezeichnet!”, sagte Braunscheid. Das Mädchen nickte ihm ernst zu, sagte “Ich freue mich, das zu hören” und starrte einem dürren, beinahe giftgrünen Baum hinterher, den sie gerade passiert hatten. „Haben Sie das Gefühl, schon einen Alien in sich drin zu haben? Ich bin mir nämlich nicht so sicher, ob man das merkt, wenn sie da sind. Marvin sagt zwar, sie haben nur die Bürokratie geklaut, aber ich glaube, dass es alles viel, viel schlimmer wird. Aber ich weiß eben nicht, ob man es merkt, irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass es einen lauten Knall oder so was geben wird und dann sind alle verwandelt. Es wird sicher viel geheimnisvoller“, sagte das Mädchen und war im nächsten Augenblick schon nach hinten gerannt, in die letzte Reihe, wo Braunscheid sie während der ganzen Fahrt selig auf dem Überwachungsbildschirm, der über seinem Kopf angebracht war, beobachten konnte. Sie aß rosa Brauseufos und hatte alles in ihrem unglaublichen Blick.

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

Archiv

April 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 

Impressum:

Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

Adam Schiffers
friedrich2
Hans-Peter Braunscheid
MaLiNaSuNaSiMoN
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren