FREAKSHOW

Kurz nachdem Friedrich mit der Brötchentüte verschwunden ist, hat Frau Engelot diese Meldung im Radio gehört: In der geschlossenen Abteilung des Psychiatrischen-Instituts wird seit dem Morgen ein junger Mann vermisst. Er ist mittelgroß, trägt helle Turnschuhe, Jeans und eine gelbe Jacke; außerdem wahrscheinlich eine Kopfbedeckung. Er ist verwirrt und möglicherweise nicht in der Lage sich zu orientieren. Hinweise bitte an die nächste Polizeidienststelle.
Eigentlich ist es aber anders gewesen: Kurz nachdem Friedrich mit der Brötchentüte verschwunden ist, hat Frau Engelot der Meldung zugehört. Wir wissen nämlich, dass sie schon zuvor dreimal – um zwölf, um halb eins und um eins – die Meldung gehört hat. Nur hat sie das schabende Hintergrundgeräusch des Radios nicht in Sprache übersetzt. Eben nichts verstanden.
Jetzt versteht Frau Engelot und greift zum Telefon. Sie tippt: eins, eins, dann zögert sie - den Zeigefinger auf der null. Nächste Polizeidienststelle, hat der Nachrichtensprecher gesagt. Nächste Polizeidienststelle? Sie überlegt in den gelben Seiten nachzuschauen, unter P, wie Polizei. Sie legt den Hörer zurück in die Plastikmulde – kein Freizeichen mehr.
Sie denkt: Woher weiß ich überhaupt, dass die gerade den suchen? Natürlich war der verrückt, aber Verrückte gibt es viele, ohne dass sie aus irgendeiner Anstalt ausgebrochen sind. Um die alle einzufangen, müsste wahrscheinlich gleich eine Mauer um die ganze Stadt...
Frau Engelot bleibt in diesem Gedankengang stecken und wirft einen Blick nach draußen. Eine alte Frau putzt Fenster, im Erdgeschoss des Wohnhauses auf der anderen Straßenseite. Sie kennt das Quietschen, das der Lederlappen auf der feuchten Scheibe macht. Geräusch von Sauberkeit. Dabei ist der Himmel grau. Es riecht nach Regen. Eigentlich keine Zeit zum Fensterputzen, denkt sie, und dann: Was hat das Radio genau gesagt? Gelbe Jacke. Blaue Jeans. Blaue Jeans hat ja jeder. Und gelbe Jacke?
Frau Engelot kann sich einfach nicht daran erinnern, was der junge Mann für eine Jacke getragen hat. Sie sieht nur den gesenkten Kopf. Kopfhaut mit tiefem Riss. Sonst nichts.
Außerdem Kopfbedeckung... Etwas von Kopfbedeckung hat das Radio noch gesagt. Wahrscheinlich Mütze, denkt sie und grinst. Nein. Hast mal wieder aus einem Schmetterling einen Elefanten gemacht. Nein, nein... Eine Mütze hat der sicher keine aufgehabt.

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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