Samstag, 10. November 2007

Stoffeule

Morning has broken, sieben, eine Stunde nach sechs, eine Stunde vor acht, nichts ganzes und nichts halbes im Sinn, Halbfettmargarine auf dem Tisch, auf dem Brot, das quietscht beim Kauen, Gummibrot, Nutella.
Stufe 1: ein warmes Summen, Stufe 2: ein heißes Kreischen, der Fön weht die nassen Haare aus der Stirn, die Bürste holt sie zurück, Badezimmerpingpong. Die Hitze verbrennt das linke Ohrläppchen. Gefühl ist Gefühl.
Ärgern über den kaputten Abfluss, die Duschwanne ein Kneippbecken, gefüllt mit lauwarmem Wasser, Seifenresten und Haaren die langsam über dem Abfluss kreisen. Sie faltet ein Stück Papier, ein Boot, es schwimmt.
Marlene zieht sich an, macht sich fertig für die Arbeit, die Kinder da machen sie fertig, Pulli drüber, eine Eule darauf, Kaffee fertig, fertig. Sie schmeißt die Reste von sich in das Glas auf der Fensterbank, es ist gut sie aufzubewahren, man verliert mit der Zeit genug von sich selbst. Auf dem Glas ein kleiner Zettel mit der Aufschrift: Zwetschgen'02 und ein großer Zettel mit der Aufschrift: Fingernägel'07.
Tür auf, Tür zu, Winterluft, zur Haltestelle, in die Bahn, Fensterplatz. Ihre Nase juckt, die Augen tränen, etwas zupft sie am linken Hosenbein. Marlene bückt sich, unter dem Sitz ein weißes Häschen, hoppelnde Allergie, es scheint sie anzulächeln. Weit und breit kein Zauberer in Sicht.

Freitag, 9. November 2007

...

Die hohen Häuser könnte man vermissen, diese bizarren Riesen, nicht von Menschenhand gebaut, vielmehr schon seit Ewigkeiten da, das Neonlicht der grellbunten Reklametafeln, das Schnellschnell, das Highspeedleben bis in den Tod hinein und noch weiter, Kapitalismus meets Future meets Tradition, die sterile Perfektion und das nahtlose Funktionieren der Systeme, kleine Rädchen, die sich permanent drehen und drehen und drehen und auf ewig kein Ende, es geht immer weiter, kein menschliches Leben weit und breit, alles funktioniert. Blinzeln. Ein leichter, kühler Regen durchnässt die Kleidung und das schwarze Haar, hinterlässt eine Gänsehaut und diesen schwachen Geruch, der immer ein anderer ist. Irgendwann wird auch der Regen abgeschafft, perfekt ist noch nicht perfekt genug, wir wollen die totale Perfektion. Blinzeln. Das Schiff verlässt den Hafen und wenn man sich die Mühe machte, zurückzuschauen, könnte man das Land kleiner und kleiner werden und im nebeligen Nieselregen verblassen sehen. Blinzeln. Leise Musik klingt aus den großen Sony-Kopfhörern in den Tag hinein: The raindrops, the raindrops, the raindrops, the raindrops, the raindrops, the raindrops, the raindrops …

...

U hrvatski: Dobro Dragi konnte ich nicht lesen, auf dem Panzerband, olivenölig auf dem Buchrücken, auf der Front, lesend, die Zeichnung, mit Mann mit Zylinder, schief auf schwarzgemahlenem Kopf, die Augen an mir vorbeischauend, das Porträt, rundherum mit Schrift, Sprache, Bel Ami, der nicht guckt, obwohl ich da (ja) Schrift Sprache noch nicht verstehe, nur die Melodie, nur die Töne machen Geräusche, und ich kann Sprache nicht, weine, weil er nicht guckt, ich aber seinen Blick will. Übersetze hin und her, weinend, das, was ich weiß und singe ja und da und ja und da da, und meinen Kopf lege ich auf das Buch, mit den Ohren zuerst, vor dem Ohr die Schrift, zitternd, der Bel Ami, und Öl an den Händen, dem Heft und Ohren und weinend und liegend, damals, im Wald im Flur vor der Tür und Baba Ivana hinter der Tür, vor dem Trichter, mit Worten, und im Kessel brüht Rosmarin, auf dem Tisch Butterschmalz von der toten Ziege, und ich vor der Tür, unter dem Kleid Brot und mein Mund mit Geräuschen zu Bel Ami aus dem Trichter, zu den Worten von Baba Ivana, die ich nicht versteh, weil sie mir keine gibt, jeden Tag nicht. Am Ende immer Ajde Obrok, Ajde Obrok, jeden Tag, und mein Ohr blutet aus, und wir essen auf dem Strohteppich, hinter der Tür und der Trichter ist still, jeden Tag, flüstert Mladenka auf der Matratze in ihrem Bunker liegend, in deutscher Sprache, der Sprache zu der sie sich seit Jahren herüberhangelt, wegen den Bildern von Soldaten mit ihrer Freundin im Landesinnern, und das Mädchen, eine Zeitungsmacherin, neben ihr mit dem aufgeklappten Computer tippt alles ein bevor sie geht, Mladenka gute Nacht sagt und ein Foto, von dem Heft mit dem Bel Ami auf der kalten Erde, und eine Zeichnung, von dem Haus von Mladenka, macht. Und am nächsten Tag liest der Busfahrer eine Zeitung, weil er zu schnell fährt, um die Zeitung zu lesen, und tötet das erste Leben einer Katze, die noch sieben hatte.
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hfb & bvsb & al & bb & bvsb

Vieles wurde über Pepe Kowalski erzählt. Das Meiste davon hatte er selbst in die Welt gesetzt und zuvor taktisch erdacht – Pepe Kowalski wusste nicht nur die neusten Peek & Cloppenburg Kollektionen zu verkaufen, sondern auch sich selbst – die sich um ihn rankenden Gerüchte waren ein sich selbst verstärkendes System: Einmal in Umlauf gebracht, verfestigten sie sich durch jedes Weitererzählen und standen irgendwann als Wahrheit da. So war in den letzten zehn Jahren aus Peter Kowald Sir Pepe Kowalski geworden – Pepe für die verruchte Jugendlichkeit und die Kombination aus Sir und Kowalski für eine gelungene Verschmelzung von altem Adel und neuer Unterschicht. Sir Pepe Kowalski wollte alles sein, Sir Pepe Kowalski war alles, was er sein wollte. Kowalski glaubte sich inzwischen seine eigenen Geschichten, oftmals vergaß er auch, dass er sich diese nur ausgedacht hatte, das machte ihn so überzeugend. Eigentlich log er ja nicht. Er wusste es nur nicht mehr besser.

Sir Pepe Kowalski hatte Zeit seines Menschenlebens Glück bei den Frauen gehabt. Er war nicht schön, doch charmant, war nicht klug, doch sehr galant. Kein Held, nur ein Mann, der gefiel. Nicht, dass er irgendetwas dazu beitrug, dass sich diese Ressource an Anziehungskraft, die er aufs weibliche Geschlecht ausübte, nicht aufbrauchte, eher im Gegenteil. Pepe Kowalski hatte einen recht leichtfertigen Umgang mit den sich um ihn wandelnden weiblichen Wesen. Er verliebte sich jeden Tag aufs Neue (oder bildete sich dies zumindest erfolgreich und für ihn glaubwürdig ein), küsste Alle und blieb keiner treu. Er machte die anderen Männer ganz nervös mit seiner vollen Chronique Scandaleuse. Er nahm die Frauen wie er wollte, bei ihm hielt jede still. Sir Pepe Kowalski war ein Mann mit vollem Adressbüchlein, mit einem ausgeklügelten Punkte-Wert-System für seine Damenbekanntschaften und ein reichhaltiges Sexualleben.
Bis zu dem Tag, als Sir Pepe Kowalski aus unruhigen Träumen erwachte und sich in einen Kater verwandelt hatte, der nun einen vorher noch nie wahrgenommen Schmerz zwischen seinen Hinterbeinen verspürte. Kowalski dachte darüber nach, was er über Kater wusste. Kater streiten sich mit anderen Katern. Kater markieren pissend ihr Revier. Kater haben einen überdurchschnittlichen Geschlechtstrieb. Deswegen werden auch die meisten Kater von ihren Besitzern - nein, darüber wollte Pepe Kowalski gar nicht nachdenken. Doch dann durchzog ihn wieder dieser stechende Schmerz, der in einem gewissen Rahmen dann doch beruhigend für Pepe war, weil dieser Schmerz ihm zeigte, dass da unten zwischen seinen Beinen doch etwas sein musste, was schmerzen konnte. Da Sir Pepe Kowalski kein Mensch mit einem weitem Horizont und dem Bedürfnis von überdurchschnittlicher Wissensaneignung gewesen war, hatte er von dem Phänomen Phantomschmerzen noch nie in seinem Leben gehört.

Das Fiepen des Faxgerätes unterbrach ihn in seinen nicht stattfindenden Überlegungen. Langsam kroch ein Blatt Papier in die schon überlaufende Auffangfläche und glitt von dieser hinab, um langsam vor den Fußboden vor Kowalskis Bett liegen zu bleiben. So sehr er auch sein Köpfchen streckte, für einen Blick auf das Fax reichte es nicht. So musste sich Sir Pepe Kowalski wohl oder übel mit seiner immer noch in sich zusammengerollten Körperhaltung auseinandersetzen. Es kostete ihn weniger Mühe, als er gedacht hatte, sich in eine ausgestreckte Position zu bringen, Vorderbeine vorne, Hinterbeine angewinkelt hinten. Doch bei jedem Versuch, aufzustehen, kippte er zur Seite weg und lag jedes Mal in einer ungünstigeren Position; dass ihm sein Schwanz dazu dienen könnte, das Gleichgewicht zu halten, dessen war sich Kowalski nicht bewusst. Bei seinem fünfzehnten Versuch – ihm persönlich erschienen es aber wesentlich mehr gewesen zu sein – kippte er so sehr zur offenen Seite des Bettes um, dass er herunterfiel und auf dem Fax landete. Und auch wenn die Landung schmerzhaft gewesen war, so war er nun zumindest in einer Position, um Teile des Faxes lesen zu können (obwohl er sich dabei wunderte, das Kater lesen können).


Pepe,

ich habe versucht, Dich zu verstehen, bin jeden Irrweg, den Du mir gewiesen hast, ganz bis zum Ende gegangen. Auf Deine Weise bist Du ja ehrlich.
Ich habe meine Ziele verraten und meine Eigenarten bereut, Du hast mich betrogen und ich hab Dir verziehen. Und es war ganz egal, welchen Part ich in Wirklichkeit dabei spielte, Du hast es jedes Mal geschafft, dass ich mich dafür schuldig fühlte.
Pepe, Du bist ein Blender erster Güte, ich bin für Dich doch bloß ein Spielplatz, Du verschaukelst mich täglich mehr.
Ich sehe keinen Sinn mehr darin, mich abzufinden, ich werde mich umsehen, kommst Du damit klar, ich für meinen Teil ja.

Christiane



Und noch bevor Sir Pepe Kowalski darüber nachdenken konnte, wer noch mal Christiane gewesen war, hörte er deutlich lokalisierbar direkt vor seiner Wohnungstür ein Gronkwrömm, das nach Kieferchirurg klang, schwerer Eingriff, Kasse zahlt kaum was zu, ein grauenhaftes Schmirgelgebrumm, und noch bevor die Männer in Sir Pepe Kowalskis Wohnung eindrangen, wurde er für einen kurzen Moment von der gegen die Scheibe klatschenden Brieftaube abgelenkt.

Donnerstag, 8. November 2007

Crazymarkt

Pedersen ist plastisch geworden. In dieser Kleinst-stadt, im Crazymarkt, so nannte Pedersen diesen Ort, nachdem er die Synonyme für "Super" suchend „Hervorragend“ und „Großartig“ für antiquiert und steif, "Hammer", "Tight", "Fresh" als Slang etikettiert und vor allem, sein Sprachgefühl wurde dabei lau, einseitig hielt, er letztlich zwischen "Über" und "Crazy" wählen musste, wenn man ihn fragte, wohin er gehe; auf jene Frage also, die ihm unterwegs - die Wiesen zogen in sich zusammen, das sah er, außerdem, am Wegesrand, alte Männer rieben sich den Schlaf aus den Augen und verfütterten ihn an fremde Vögel, hier, schoss es ihm durch den Kopf, ziehen die Menschen ihre Portmonaies wie Pistolen aus den Hosentaschen – gestellt wurde: Der Fahrradfahrer nach einer Bremsung, voll, blickte liegend kieskauend auf Pedersen hoch, als Pedersen unwissend zurückblickte, spuckte der Biker Kies: SIEHST DU NICHT WOHIN DU GEHST?! antwortete Pedersen, von seinen Tagesbeobachtungen bewegt, meschugge: Zum Crazymarkt.
In der Schlange des Crazymarkts zitterte, zwischen zwei Frauen mit sichtbaren Rückenproblemen eingepfercht, die vordere mit Rundrücken, die hintere schwanger, mit Hohlkreuz, Pedersens rechter Arm. Das Blut, so stellte sich Pedersen seinen eingeredeten Herzfehler vor, läuft von seinem Kopf in die Finger und stockt, die Hand läuft von der Last der Wasserflaschen schwer an, wird lila, sagte die Rundrückrige, wird flieder die schwangere Hohlkreuzige, Pedersen sah, als der Streit über die Farbwahrnehmungen und ihre Bezeichnungen aufflammte, keine Farben, spürte nur die Taubheit in seinen Fingern. Als er schließlich an der Reihe war, die Kassiererin, kühl, fragte: BITTE?! zeigte er auf seinen toten Arm, und sagte: Einen neuen! Die Kassiererin, die um sich herum eine Sprachwand gebaut hatte, ignorierte, weil sie ihn als vorwurfsvoll verstand, Pedersens Satz. Da sagte Pedersen: Hören Sie mir mal zu!, und rezitierte halb, halb erklang es vom Laufband, sein aktuellestes, dabei verschwieg er, dass es zugleich sein erstes war, Gedicht:

1 Fischkopf, DÜT Kar-
pfen, DÜT Kapern, Kar-
toffel, DÜTDÜT 1 Kilo, Salz-
Wasser-flaschen, DÜT mehrere,
Pfeffer, DÜT gepfefferte Dinger:
Ü- und
Antibio-eier DÜTDÜT
Dann Dill
DÜT

Jaja, sagte die Kassiererin karg, kenn ich, kann ich auswendig. Sie übergab ihm die Reinschrift des Gedichtes, Pedersen zückte das Portmonaie aus der Hosentasche und reichte ihr das Geld, das er gestern Nacht, als er aus den Träumen springend, noch somnambul, auf die norwegischen Volleyballerinnen wettete, gewonnen hatte. Er gab ihr 10 und als er kein Rückgeld erhielt, war er verwundert, welchen runden Wert sein Erstling hatte.

Mittwoch, 7. November 2007

...

Dieser Mittwoch ist von einer schönen blauen Farbe. Solch ein Blau, als habe man Himmel und Wolken vermischt, ein wenig norddeutsches Himmelblau, etwas strahlender Urlaubshimmel (am Besten eignet sich das Blau des Fidschiinselurlaubhimmels), sich über Gebirgen auftürmende weiße Wattewolken sanft darunter gehoben, wie man es mit Eischnee bei einem Kuchenteig tut, eine Prise des Regenwolkenvioletts, aber nur eine kleine. Mit einem leichten Duft nach frisch gewaschener Jeans und genauso locker wie eine gut geratene Masse Teig, mit Luftblasen darin. Von wunderbar eieriger Form und weich wie das Fell eines jungen Kükens, so zart, dass man glaubt seinen Flaum selbst nach der Berührung noch an den Fingern zu spüren. Ja, so ist dieser Mittwoch. Pina steht am Kiosk und kauft für 1,29 Euro eine Tüte Brauseufos, wählt eine, in der besonders viele rosafarbige sind. Gerade ergießt sich der fünfte Schauer des Tages über der kleinen Stadt, auch von unten kriecht die Nässe an den Kleidern all derer hoch, die die Straßen durchqueren. „Das Wasser nähert sich den Menschen von oben und von unten“, denkt Pina.

...

Wie immer war es eine Tortur gewesen: Bis sich Hans-Peter Braunscheid entschieden hatte, was er an diesem Tag hauptgerichtlich zu sich nehmen sollte, vergingen etwa dreißig Minuten. Nudeln, Reis und Kartoffeln lagen nebeneinander im mittleren Fach seines Vorratsschranks und warfen ihm herausfordernde Blicke zu. Sobald Hans-Peter einem von ihnen seine gesonderte Aufmerksamkeit schenkte, fühlten sich die anderen ungerecht behandelt und er wollte keinen von ihnen verärgern oder gar benachteiligen, er mochte sie ja alle drei, doch auch seinem Magen gegenüber galt es, Höflichkeit zu bewahren, und so versprach er schließlich den Nudeln und Kartoffeln hoch und heilig, sich ihrer am folgenden Tag zu bedienen, griff zur Reispackung und schloss schnell die Schranktür, um Vorwurf und Trauer in den Augen der Zurückgebliebenen nicht mit ansehen zu müssen.
Während er aß - weil Mittwoch war, saß er dabei auf dem Stuhl, der an der Stirnseite des Tisches stand - dachte er an seine Füße und die Nacht.
Vor einigen Wochen hatte er versucht, die ungewöhnlich dicke Hornhaut an seinen Fersen zu entfernen, weil seine Haut an jeder Stelle seines Körpers gleich aussehen sollte, doch die hatte sich gerächt: Beim Nachwachsen des Hornbelags waren tiefe Risse entstanden, und beim erneuten Entfernen blutige Risse, es tat höllisch weh, aber zu einem Arzt wollte er auf keinen Fall gehen, denn er hielt sein Problem gemessen am knappen Zeitkontingent eines Arztes für zu unbedeutend - und abgesehen davon war er schließlich zum Einen ein Mann und zum Anderen selbst schuld.
Auf Zehenspitzen brachte Hans-Peter seinen leeren Teller zur Spüle und wusch ihn augenblicklich ab. Er schaltete das Radio an, drehte nervös von Sender zu Sender, weil er jede Musik gleich schön fand, und war erleichtert, als die Sechs-Uhr-Nachrichten ihm das erlösende Zeichen zum Aufbruch gaben. Vorsichtig zog er sich seine an den Fersen mit Schaumstoff ausgepolsterten Schuhe an (es tat trotzdem weh), und verließ seine Wohnung, um zum Nachtschichtbeginn pünktlich im Betriebshof zu sein.

Adam

"... an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist."
1. Mose, 3, 5

Grüne und rote Zuckersplitter. Er nahm sie immer mit Daumen und Zeigefinger. Sie klebten aneinander. Er legte sie auf seine Zunge. Auch der Gaumen war schon ganz wund, von der ganzen Tasse voll. Es ist schon die zweite. Sein Mittag war das, was nicht auf den Äpfeln landete. Süße, scharfe Schnittreste. Auch der neongelbe, rosa Plastik klebte. Doch den kleinen Händen war das egal. Selber schmierig von weißen Schaum und Dreck. Hinter der Scheibe, eine Fahrt zwei Euro, fünf Fahrten acht Euro, zehn Fahrten fünfzehn Euro, ließ Adam die Pferdchen und Ponys, die Feuerwehr- und Polizeiwägelchen, Boote und Motorräderchen ewig verfolgen. Der letzte Klumpen Zuckersplitter fiel aus der Tasse auf die Zunge. Mit offenem Mund knirschte es als er sie mit den Zähnen zermahlte.
Klein kam sie herüber zu Adam mit einer Waffel in den Fingern und einem gelben Dino auf der Brust. Große Augen waren auf dem Karussell, das weiche Gesicht ging hin und her. War es ein Pferd, das sie beobachtete, das Feuerwehrwägelchen, oder kannte sie vielleicht ein Kind das mitfuhr. Dann lächelte sie mit zu wenig Zähnen und kam noch weiter zu Adam. Das Ärmchen hochgestreckt, auf Zehenspitzen, lag dann das Zweieurostück auf Adams Tresen. Einmal mit dem Pferd reiten bitte, sagte sie. Adams langer Zeigefinger berührte ihr Inneres
der Hand, dann legte er den rosa Plastikchip auf ihr ab. Einmal Pferd reiten bitte sehr, halt den Chip gut fest und geh gleich zum Pferd, damit niemand eher bei ihm ist. Den Chip fest in der Hand, rannte sie zum Karussell, das schon begann sich auszudrehen.
Nun ging Adams Gesicht hin und her. Nicht mehr so weich, Haare nicht mehr so voll, Augen noch groß. Runde um Runde, das Mädchen stieg ab. Ein paar Meter weiter setzte sie sich auf den Boden, Augen auf dem Karussell. Auf dem Pferdchen, hin und her. Mit seinen Zuckersplitter-Fingern nahm er einen rosa Chip. Er ging als wäre nichts, hinter dem Mädchen entlang, ließ den Chip auf ihren Schoß fallen und wusste, ihr gefällt das. Er wusste, sie dreht sich um und guckt, doch Adam nicht und ging weiter. Der Vorwand war aufs Klo zu gehen und zur nächsten Runde wieder da zu sein. Sie zu sehen auf dem Pferdchen.
Im Klocontainer. Er konnte nicht. Zurück.
Er sah sie am Häuschen stehend, den rosa Chip in ihrer Hand. Ich glaube den hast du gerade verloren, sagte sie. Ich glaube nicht. Das ist dein Glück. Jetzt kannst du noch mal auf dem Pferdchen reiten. Aber das ist doch nicht richtig so, sagte sie. Aber du willst es doch. Dann ist das schon in Ordnung.
Noch einmal saß sie auf dem Pferdchen. Adam schaute nicht weg von ihr. Dann verschwand das Mädchen. Adams Schicht war vorbei. In der Pause noch was süßes.

...

Viola tritt heute schneller in die Pedalen, als sie es für gewöhnlich tut, nicht zu spät kommen, nur nicht zu spät den ranzigen Friseurladen betreten, der nach alten Menschen riecht, immer. Eine angenehme Dunkelheit, unerkannt auf die Straße treten, sich ungesehen auf das Fahrrad setzten, klapprig, alt, blau angesprüht, ein blaues Fahrrad. Franck findet es schön.

Viola reißt sich die grüne Wollmütze vom Kopf. "Coiffeur Robert" leuchtet in dreckigem Neongelb in die morgendliche Dunkelheit. Irgendein Tag im November. Kurz lehnt sie sich gegen die Hauswand neben der Eingangstür, drei Atemzüge, die nur ihr gehören. Und dann los!

Mit dem leeren Wäschekorb in den Keller, vorsichtig sein, Stufe für Stufe, eine ungewöhnlich steile Treppe. Seitdem sie vor etwa einem Jahr gestürzt war und sich das Handgelenk gebrochen hatte, ist sie besonders aufmerksam. Viola faltet die sauberen Handtücher, jedes genau drei Mal.

Marie kommt zu spät

und der dicke Mann schlägt mit der Faust auf den Tisch. Dann geht sie hoch, 45 Stufen, 2 Menschen, vielleicht 1 Gedanke. Sie putzt die Zimmer im Motel am Stadtrand. Manchmal versteckt sie dort kleine rosa Zettelchen unter den Kissen, auf denen sie bösartige Nachrichten notiert („ du bist hässlich!“). Ansonsten macht sie ihre Arbeit ordentlich.
An diesem Tag vergisst sie den dicken Mann und die rosa Zettelchen und legt sich auf eins von den Betten. Marie denkt: Menschen sind dämlich, irgendwie verwirrt, als wüssten sie nicht, dass Nick Cave auch nur Scheiße singt. Als sie wieder aufsteht, die Tür schließt, ins nächste Zimmer geht, sich auf das nächste Bett legt, singt sie still: and I don't believe in the existence of angels but looking at you I wonder if that's true. Sie lacht.
Als sie um 16:30 das Motel verlässt, ist der dicke Mann hinter der Rezeption im Sitzen eingeschlafen. Gut, dass die Fettlagen seines Kinns den Kopf aufrecht halten , denkt sie und geht nach Hause.

Dienstag, 6. November 2007

Das zweite Statement [Kassandra]

Sonntag

Zuletzt-vorher hattte sie, parallel dazu eine Zigarette rauchend, Spaghetti Napoli in ihrem Bett gegessen, den weißen Bezug beckleckert, fluchend weiteressend und ziehend, hastig Nudeln und Rauch geschluckt, den heißen Topf auf dem Bauch stehend, die Fotos an der Zimmerdecke studiert-schob sie die Topfpflanze, die genügsam war, im Gegensatz zu ihr, nicht schnell austrocknete, in die linke Zimmerecke, die ihr heller als die rechte erschien, draußen war es schon dunkel, ein Winterabend, Nieselregen, eine Erkältung im Anzug, wünschte sie den Sommer zurück, sie wünschte sich den Sommer jedes Jahr zurück, im Sommer stöhnte sie über die Hitze. Das Schieben, das mehr ein zerrendes Schleifen war, des Übertopfes auf dem Laminat, machte kein Gänsehautgeräusch, da aus der rechten Zimmerecke, vom Boden aufwärts, in jeden Winkel der vierzehn Quadratmeter, Nick Caves' Stimme, die noch jung klang, dröhnte, von unten spürte sie eine regelmäßige Erschütterung, drehte das Rädchen, dessen Ränder blau leuchteten, nach links und damit die Musik leiser, die Erschütterung war ein Klopfen, es schien aus dem Boden zu kommen, fantastisch dachte sie kurz an E.A.Poe, ein Herz im Boden, tatsächlich war es, einmal mehr, das metallene Staubsaugerrohr ihrer Nachbarin, das gegen Nick Cave rebellierte. Marlene stellte die Musik ab, fing an zu springen und zu stampfen, die Mittelfinger gegen den Boden gerichtet, in der Stille, die keinen Rhythmus vorgab, zu tanzen, die spitzenförmigen Blätter der Pflanze wippten, durch Marlenes Tanzschritte in Bewegung gekommen, im Topf und als Schatten an der Wand, auf und ab, solange bis Marlene die Lust verlor, müde wurde, überlegte zu Patric zu fahren, mit ihm zu schlafen, sofort danach zu gehen, in Richtung Georgs' Wohnung, die Treppe nach oben, über den knarrenden, hölzernen Flur, in das Malzimmer zu gelangen, mit Georg zu schlafen, mehrmals, danach das Gefühl begehrenswert und schön zu sein im Kopf, auf dem Brückengeländer im Park zu sitzen, Enten anzuspucken, die Luft anzuhalten, dabei die Sekunden zu zählen, die Zeit totzuschlagen und schließlich zurück nach Hause zu gehen, das hinter einer Fassade aus aggressivem, giftigem Gelb auf sie wartete, und das Vorlesungsverzeichnis der NYU durchzuschauen.
Schlussendlich blieb Marlene in ihrer Wohnung, dachte darüber nach, warum zum Kuckkuck, das so war, kratzte die restlichen, am Boden des Kochtopfs festklebenden, kalten Nudeln in den Mund. Dieser Vorgang machte ein Gänsehautgeräusch.

Sonntag, 4. November 2007

Halbe Dinge

>Und als er dort ankam,< bemerkte er, dass es zu früh war. Zu früh für die Zeit, aber viel zu spät für ihn. Wie einen Ausgleich schaffen? , überlegte er und gab sich fortan nur noch die Hälfte der Zeit für alles. Die Hälfte der Zeit für sich und die anderen. Das ist so viel wie ein ganzes Universum. Ein ganzes Universum, in dem halbe Dinge platz haben. Und in einem halben Universum muss doch immerhin eine ganze Welt platz haben. Seine ganze Welt. Immerhin diese muss gewillt sein, hinein zu passen. Wie groß kann die Welt eines Hasen schon sein. Wie groß, als dass nicht eine Möhre, ein Stummelschwänzchen und ein paar große Hopser hinein passen würden. Nein, das müsste gehen, sagte er sich. Es wird funktionieren. Wie kann es sonst sein, dass hunderte Generationen Zauberer aus einem kleinen Hut an die zehn Kaninchen zauberten und diese danach problemlos wieder in selbigem verschwinden lassen konnten. Nein, das könnte nicht gehen, sagte er sich. Wenn eine Hasenwelt größer sei als die eines Hutes. Aber was passiert, wenn ich wachse? Und was tue ich, falls ich schrumpfe und viel zu klein für meine, für eine Welt bin? Haben Ameisen eine Welt? , fragte er sich. Dann wird er unterbrochen. Es werden Zahlen angesagt. Seine Zahlen. Die Zahlen, die alles verändern und alles so lassen wie es ist. Die Frau öffnet den Mund und es entspringt ihm eine 21, die ihn direkt ins Mark trifft. Ins Bein fährt ihm wenige Minuten später die 9, welche fast beiläufig den Weg ins Freie findet. Zwei Zahlen lassen ihn aufatmen, aber das ist nicht genug. Das ist noch nicht mal die Hälfte der Hälfte. Da sind zu viele andere Zahlen, die ihm einen Hieb in die Magengegend verspüren lassen. Zahlen bestehen eben doch nur aus Zufall, grübelt er. Dinge haben eine andere Bedeutung, Zufallsgesetze bestimmen den Alltag und eine undurchsichtige Logik durchdringt den Tagesablauf. Ein Blitz fährt in seine Gedanken: Es muss weiter gehen. Die Arbeit muss noch heute weiter gehen. Es muss schnell gehen, wenn ich zurück will. Ständige Rivalität der Zeit. Sich gegenseitig nicht mehr loslassen. Aneinander zerren. Wie an Puppen. An Menschen. >Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.< Ein Mantra. Vielleicht seines. Er bekommt Hunger, an sich nichts gutes (Er hat den Hunger satt gehabt, als er sich an ihm überfressen hatte und kotzen musste.), aber das Brötchen ist im Zeitplan. Viertel vor acht. Schnell schlucken und um acht und zwar pünktlich geht es dann weiter. Morgens will der Tag nicht anspringen. Er stottert. Beim Anlaufen und manchmal versucht er es vergeblich. Er läuft dann einfach nicht. Du kannst nicht einfach das Fahrrad nehmen. Auf dem Tisch neben zweieinhalb Brötchenkrümeln eine Zeitung. Die Zeitung ist nicht mehr komplett, nein, es ist lediglich ein Drittel der ersten elf Seiten vorhanden. Keine Bilder. Keine Gespräche. Deshalb überlegt er, warum überhaupt Zeitungen ohne Bilder und mit Menschen, die sich nicht unterhalten, gemacht werden. Daraufhin wird er schläfrig. Er beginnt zu träumen. Träumt Sätze, Farben und Töne: >Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß, wie Wolken schmecken,
der wird im Mondschein, ungestört von Furcht, die Nacht entdecken.< Als er aufwacht, fällt ihm die Zeit ein und wie alles früher gewesen sein könnte. Als er verstehen musste, dass man in der Sommerhitze nicht bekleidet in den Fluss springen darf, weil die Kleider dann nass werden. Dass man nach dem Kirschenessen kein Wasser trinken darf, weil dann im Magen Kirschbäume wachsen, die seine Wand durchbohren und nachts aus der Speiseröhre ragen. Dass man seinen Teller immer leer essen muss, weil man sonst verantwortlich für das schlechte Wetter ist. Dass man kein Eis im Winter essen darf, dass man auch Dinge essen muss, die man nicht mag. Dass man sich vor dem Schwimmen gehen nicht den Magen voll schlägt, weil man dann ertrinkt. Alles und nichts begreifen. Keine Einstellung und Meinung zu nichts und niemandem haben. Noch weniger eine gesellschaftliche Rolle einnehmen. Ohne sie zu spielen. Keine Schuhgröße haben. Entweder ein drückender Schuh oder einer, der beim Laufen verloren geht. Uneindeutigkeit.

...

Za Mladenka Ljubic, stand auf dem Zettel, den Mladenka vom Fuß der Taube löste, gestern Nacht, als sie aus ihrem Bunker, noch einmal ins Haus gegangen war, zuerst durch den Flur, den Schweinestall, von dort ins Treppenhaus, wo die Ziegen bereits schliefen, um schließlich in den Taubenschlag unterm Dach zu gelangen.
Bog Mladenka, moja sestra, schrieb Tomo in der ersten Zeile, dann weiter in deutscher Sprache, ein wenig gebrochen, ob es ihr, seiner Schwester, wiederholte Tomo in deutscher Sprache, gut gehe, ob sie das eitrige Auge der Taube schon entdeckt habe, und dass sie einige Tropfen Salbeiöl ins Taubenauge tröpfeln solle, dann sei die Entzündung in ein paar Tagen abgeklungen, die Taube gesund. Bis auf die lärmenden Touristen in der Stadt sei in Zadar alles in bester Ordnung, schrieb Tomo weiter. Ihm gehe es gut, im Dachgeschoss lebe gerade das italienische Rentnerpäarchen aus Pula, das gleiche wie in den letzten fünf Jahren. Er, Tomo, habe sich ungefähr vor einer Woche in die Frau des Mannes verliebt und ihre langen schwarzen Haare (auch wenn sie sicherlich gefärbt seien), die sie jeden morgen im Garten zu einem vogelnestartigen Gebilde auf ihrem Kopf zusammenstecke, erinnerten ihn an die Prinzessin Psyche, und er sei doch Amor und deshalb überlege er, ob er ihr es sagen solle, dass er sie liebe, dass er den Mann daraufhin in den Abflussschacht sperren könne und dann mit ihr durchbrennen, vielleicht in den Süden, nach Griechenland. Athen fände er eine gute Stadt für die Liebe und später auch zum Sterben. Sie könnten den Bus bis Split und dort die Fähre nehmen, die nach Athen fahre. Tomo ließ einige Zeilen aus, bevor er weiter schrieb, dass er, als die Taube vor ein paar Tagen mit dem Brief im Schnabel ankam, mit Mladenkas altem Schulfreund, Brane, der nun in Zagreb lebe und in Zadar seine Nichte besuchte habe, im Garten gesessen sei. Brane habe gelacht, als der Vogel auf Tomos Schoß landete und gleich zwei Schnäpse getrunken, einen auf sie, den anderen auf die Taube, dann habe er das Lied vom heiligen Simon angestimmt, die Taube auf seine Hand gesetzt und mit altem Brot gefüttert. Brane sei verwundert, dass sie, Mladenka, noch immer nicht nach Kroatien zurückgekehrt sei. Der Krieg sei doch nun schon eine Weile her, meinte Brane, schrieb Tomo, und in Deutschland gedeihe der Mangold viel schlechter, die Kartoffeln seien viel kleiner und die Granatäpfel, die sie doch so liebe, wüchsen dort doch gar nicht. Tomo habe Brane dann erklärt, dass sie sich in Deutschland sehr wohl fühle, weil sie dort für sich sei, niemand störe sie in ihrem Bunker vor ihrem Haus, außer wenn sie es so wolle. Außerdem läge der Krieg in Deutschland noch länger zurück als der in Kroatien, deshalb bliebe sie in Deutschland. Dann ließ Tomo wieder einige Zeilen aus, wünschte ihr noch das Beste und dass er hoffe, dass er bald noch einmal nach Deutschland kommen könne, wenn er ein wenig Geld für den Bus zusammen habe, aber dann eigentlich am liebsten mit der Frau aus Pula in Athen sei. Dann beendete er den Brief und schrieb ganz unten, pusa pusa, tvoja brat.

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Samstag, 3. November 2007

Das erste Statement [Alaska]

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Als Sir Pepe Kowalski eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem haarigen Kater verwandelt. Er lag knäuelartig zusammengerollt auf seiner Bettdecke und konnte, wenn er sich auch nur ein wenig Mühe gab, seinen Kopf zu strecken und sein Maul zu öffnen, auf seinem schwarzem Schwanz herumkauen, wenn er das nur gewollt hätte. »Was ist mit mir geschehen?«, dachte er. Es war kein Traum. Sein Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier wohlbekannten Wänden. Über dem Tisch, auf dem eine auseinandergepackte Musterkollektion von Peek & Cloppenburg ausgebreitet war - Kowalski war Außendienstmitarbeiter - hing das Bild, das er vor kurzem aus einer Zeitschrift ausgeschnitten und in einem hübschen, vergoldeten Rahmen untergebracht hatte. Es zeigte ein junges Model, das mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasaß und einen schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem Beschauer entgegenhob. Sie tat dies völlig selbstverständlich, obwohl sie außer den benannten Pelzteilen nichts Weiteres bekleidete. All dieses Fell an der jungen Frau schien ihn nun ein wenig auszulachen.
Pepes Blick richtete sich dann zum Fenster, und das trübe Wetter - man hörte Regentropfen auf das Fensterblech aufschlagen - machte ihn ganz melancholisch. »Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig weiterschliefe und alle Narrheiten vergäße«, dachte er, aber das war gänzlich undurchführbar, denn er war gewöhnt, auf der rechten Seite zu schlafen, konnte sich aber in seinem gegenwärtigen Zustand nicht in diese Lage bringen. Als wäre sein jetziger Körper nur für eine Form der zusammengerollten Bequemlichkeit angelegt. Er versuchte es wohl hundertmal, schloß die Augen, um keine der Haare seines eigenes Fells abzukriegen – Sir Pepe Kowalski erinnerte sich auch dunkel, als Kind eine Katzenhaarallergie gehabt zu haben und deswegen zeitlebens Katzen gemieden zu haben – und ließ erst ab, als er in seiner Lendengegend einen noch nie gefühlten, leichten, dumpfen Schmerz zu fühlen begann.

Freitag, 2. November 2007

Was passiert

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Was passiert

[Der folgende Text stand auf einem Blatt, an eine Häuserwand geweht, von einem Mädchen in einen Mülleimer geknüllt]

Wir hören Gerüchte, wipsern die Gorgonen und lassen sich Tropfsteine wachsen, sie fallen durch die Ritzen: der Himmel knackt gelb und wird von eisfarbenen Strähnen zerschnitten. Okeanos bläst (unleserlich) durch die Backen, die Sklaven brüllen ersaufend nach ihrem Vieh (? vielleicht auch: Haus). Die Gischt sammelt sich in den Vorhäuten der Spätgeborenen. In allen Palasthöfen steht schon das Tränenwasser, nur die Narren-

(1 Seite fehlt)

gelben Hut; eine halbe Hüfte weiter sitzt Nostradamus im Kalk und nickt, er nimmt einen roten Stock aus dem Rock und schreibt Zeichen an die Wand: Schöllkraut Storchschnabel Wegwarte. Das Auge fällt durch den Schotter, aber es bleibt geschliffen und durstig; der Zahn beißt tiefer als
(endet hier)

[Wahrscheinlich bedeutet es nichts.]



[Schöllkraut]
[Kerbel]

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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