Freitag, 9. November 2007

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Die hohen Häuser könnte man vermissen, diese bizarren Riesen, nicht von Menschenhand gebaut, vielmehr schon seit Ewigkeiten da, das Neonlicht der grellbunten Reklametafeln, das Schnellschnell, das Highspeedleben bis in den Tod hinein und noch weiter, Kapitalismus meets Future meets Tradition, die sterile Perfektion und das nahtlose Funktionieren der Systeme, kleine Rädchen, die sich permanent drehen und drehen und drehen und auf ewig kein Ende, es geht immer weiter, kein menschliches Leben weit und breit, alles funktioniert. Blinzeln. Ein leichter, kühler Regen durchnässt die Kleidung und das schwarze Haar, hinterlässt eine Gänsehaut und diesen schwachen Geruch, der immer ein anderer ist. Irgendwann wird auch der Regen abgeschafft, perfekt ist noch nicht perfekt genug, wir wollen die totale Perfektion. Blinzeln. Das Schiff verlässt den Hafen und wenn man sich die Mühe machte, zurückzuschauen, könnte man das Land kleiner und kleiner werden und im nebeligen Nieselregen verblassen sehen. Blinzeln. Leise Musik klingt aus den großen Sony-Kopfhörern in den Tag hinein: The raindrops, the raindrops, the raindrops, the raindrops, the raindrops, the raindrops, the raindrops …

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U hrvatski: Dobro Dragi konnte ich nicht lesen, auf dem Panzerband, olivenölig auf dem Buchrücken, auf der Front, lesend, die Zeichnung, mit Mann mit Zylinder, schief auf schwarzgemahlenem Kopf, die Augen an mir vorbeischauend, das Porträt, rundherum mit Schrift, Sprache, Bel Ami, der nicht guckt, obwohl ich da (ja) Schrift Sprache noch nicht verstehe, nur die Melodie, nur die Töne machen Geräusche, und ich kann Sprache nicht, weine, weil er nicht guckt, ich aber seinen Blick will. Übersetze hin und her, weinend, das, was ich weiß und singe ja und da und ja und da da, und meinen Kopf lege ich auf das Buch, mit den Ohren zuerst, vor dem Ohr die Schrift, zitternd, der Bel Ami, und Öl an den Händen, dem Heft und Ohren und weinend und liegend, damals, im Wald im Flur vor der Tür und Baba Ivana hinter der Tür, vor dem Trichter, mit Worten, und im Kessel brüht Rosmarin, auf dem Tisch Butterschmalz von der toten Ziege, und ich vor der Tür, unter dem Kleid Brot und mein Mund mit Geräuschen zu Bel Ami aus dem Trichter, zu den Worten von Baba Ivana, die ich nicht versteh, weil sie mir keine gibt, jeden Tag nicht. Am Ende immer Ajde Obrok, Ajde Obrok, jeden Tag, und mein Ohr blutet aus, und wir essen auf dem Strohteppich, hinter der Tür und der Trichter ist still, jeden Tag, flüstert Mladenka auf der Matratze in ihrem Bunker liegend, in deutscher Sprache, der Sprache zu der sie sich seit Jahren herüberhangelt, wegen den Bildern von Soldaten mit ihrer Freundin im Landesinnern, und das Mädchen, eine Zeitungsmacherin, neben ihr mit dem aufgeklappten Computer tippt alles ein bevor sie geht, Mladenka gute Nacht sagt und ein Foto, von dem Heft mit dem Bel Ami auf der kalten Erde, und eine Zeichnung, von dem Haus von Mladenka, macht. Und am nächsten Tag liest der Busfahrer eine Zeitung, weil er zu schnell fährt, um die Zeitung zu lesen, und tötet das erste Leben einer Katze, die noch sieben hatte.
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hfb & bvsb & al & bb & bvsb

Vieles wurde über Pepe Kowalski erzählt. Das Meiste davon hatte er selbst in die Welt gesetzt und zuvor taktisch erdacht – Pepe Kowalski wusste nicht nur die neusten Peek & Cloppenburg Kollektionen zu verkaufen, sondern auch sich selbst – die sich um ihn rankenden Gerüchte waren ein sich selbst verstärkendes System: Einmal in Umlauf gebracht, verfestigten sie sich durch jedes Weitererzählen und standen irgendwann als Wahrheit da. So war in den letzten zehn Jahren aus Peter Kowald Sir Pepe Kowalski geworden – Pepe für die verruchte Jugendlichkeit und die Kombination aus Sir und Kowalski für eine gelungene Verschmelzung von altem Adel und neuer Unterschicht. Sir Pepe Kowalski wollte alles sein, Sir Pepe Kowalski war alles, was er sein wollte. Kowalski glaubte sich inzwischen seine eigenen Geschichten, oftmals vergaß er auch, dass er sich diese nur ausgedacht hatte, das machte ihn so überzeugend. Eigentlich log er ja nicht. Er wusste es nur nicht mehr besser.

Sir Pepe Kowalski hatte Zeit seines Menschenlebens Glück bei den Frauen gehabt. Er war nicht schön, doch charmant, war nicht klug, doch sehr galant. Kein Held, nur ein Mann, der gefiel. Nicht, dass er irgendetwas dazu beitrug, dass sich diese Ressource an Anziehungskraft, die er aufs weibliche Geschlecht ausübte, nicht aufbrauchte, eher im Gegenteil. Pepe Kowalski hatte einen recht leichtfertigen Umgang mit den sich um ihn wandelnden weiblichen Wesen. Er verliebte sich jeden Tag aufs Neue (oder bildete sich dies zumindest erfolgreich und für ihn glaubwürdig ein), küsste Alle und blieb keiner treu. Er machte die anderen Männer ganz nervös mit seiner vollen Chronique Scandaleuse. Er nahm die Frauen wie er wollte, bei ihm hielt jede still. Sir Pepe Kowalski war ein Mann mit vollem Adressbüchlein, mit einem ausgeklügelten Punkte-Wert-System für seine Damenbekanntschaften und ein reichhaltiges Sexualleben.
Bis zu dem Tag, als Sir Pepe Kowalski aus unruhigen Träumen erwachte und sich in einen Kater verwandelt hatte, der nun einen vorher noch nie wahrgenommen Schmerz zwischen seinen Hinterbeinen verspürte. Kowalski dachte darüber nach, was er über Kater wusste. Kater streiten sich mit anderen Katern. Kater markieren pissend ihr Revier. Kater haben einen überdurchschnittlichen Geschlechtstrieb. Deswegen werden auch die meisten Kater von ihren Besitzern - nein, darüber wollte Pepe Kowalski gar nicht nachdenken. Doch dann durchzog ihn wieder dieser stechende Schmerz, der in einem gewissen Rahmen dann doch beruhigend für Pepe war, weil dieser Schmerz ihm zeigte, dass da unten zwischen seinen Beinen doch etwas sein musste, was schmerzen konnte. Da Sir Pepe Kowalski kein Mensch mit einem weitem Horizont und dem Bedürfnis von überdurchschnittlicher Wissensaneignung gewesen war, hatte er von dem Phänomen Phantomschmerzen noch nie in seinem Leben gehört.

Das Fiepen des Faxgerätes unterbrach ihn in seinen nicht stattfindenden Überlegungen. Langsam kroch ein Blatt Papier in die schon überlaufende Auffangfläche und glitt von dieser hinab, um langsam vor den Fußboden vor Kowalskis Bett liegen zu bleiben. So sehr er auch sein Köpfchen streckte, für einen Blick auf das Fax reichte es nicht. So musste sich Sir Pepe Kowalski wohl oder übel mit seiner immer noch in sich zusammengerollten Körperhaltung auseinandersetzen. Es kostete ihn weniger Mühe, als er gedacht hatte, sich in eine ausgestreckte Position zu bringen, Vorderbeine vorne, Hinterbeine angewinkelt hinten. Doch bei jedem Versuch, aufzustehen, kippte er zur Seite weg und lag jedes Mal in einer ungünstigeren Position; dass ihm sein Schwanz dazu dienen könnte, das Gleichgewicht zu halten, dessen war sich Kowalski nicht bewusst. Bei seinem fünfzehnten Versuch – ihm persönlich erschienen es aber wesentlich mehr gewesen zu sein – kippte er so sehr zur offenen Seite des Bettes um, dass er herunterfiel und auf dem Fax landete. Und auch wenn die Landung schmerzhaft gewesen war, so war er nun zumindest in einer Position, um Teile des Faxes lesen zu können (obwohl er sich dabei wunderte, das Kater lesen können).


Pepe,

ich habe versucht, Dich zu verstehen, bin jeden Irrweg, den Du mir gewiesen hast, ganz bis zum Ende gegangen. Auf Deine Weise bist Du ja ehrlich.
Ich habe meine Ziele verraten und meine Eigenarten bereut, Du hast mich betrogen und ich hab Dir verziehen. Und es war ganz egal, welchen Part ich in Wirklichkeit dabei spielte, Du hast es jedes Mal geschafft, dass ich mich dafür schuldig fühlte.
Pepe, Du bist ein Blender erster Güte, ich bin für Dich doch bloß ein Spielplatz, Du verschaukelst mich täglich mehr.
Ich sehe keinen Sinn mehr darin, mich abzufinden, ich werde mich umsehen, kommst Du damit klar, ich für meinen Teil ja.

Christiane



Und noch bevor Sir Pepe Kowalski darüber nachdenken konnte, wer noch mal Christiane gewesen war, hörte er deutlich lokalisierbar direkt vor seiner Wohnungstür ein Gronkwrömm, das nach Kieferchirurg klang, schwerer Eingriff, Kasse zahlt kaum was zu, ein grauenhaftes Schmirgelgebrumm, und noch bevor die Männer in Sir Pepe Kowalskis Wohnung eindrangen, wurde er für einen kurzen Moment von der gegen die Scheibe klatschenden Brieftaube abgelenkt.

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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Impressum:

Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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