Die Welt - 22. Nov, 22:28
Bericht des Chefarztes Prof. Dr. [?]
Tonbandaufnahme
Ich habe schon auf Sie gewartet. Gut, gut... Konnte ja nicht lange dauern bis die Presse hier auftaucht. Erst einmal stimmt es: wir haben einen abgängigen Patienten, Friedrich, vollkommen harmlos. Aber das werden Sie ohnehin nicht in ihren Artikel schreiben, oder? Na schön... Friedrich wurde direkt nach seiner Geburt bei uns aufgenommen. Damals hatte er kaum Überlebenschancen. Friedrich leidet unter einer schwerwiegenden Form einer cranium bifidum, also einer Spaltbildung des Schädeldachs, die im frühen Embryonalstadium einsetzt. Normalerweise wird dieser Defekt schon per Ultraschall diagnostiziert, normalerweise, bei Friedrich war das anders. Fragen Sie mich nicht, wer der schwangerschaftsbegleitende Arzt war... Nun ja, wir haben Friedrich operiert: ein riskanter Eingriff. Wir hatten wenig Hoffnung, aber Friedrich hat überlebt. So ist das mit ihm: er hält sich nicht an ärztliche Prognosen oder anders ausgedrückt: Friedrich ist medizinisch gesehen ein Wunder; eines zwar, dass erst durch die Forschungsleistungen der modernen Hirnchirurgie ermöglicht wurde und nicht zuletzt auch durch den erfolgreichen Eingriff, an dem ich entscheidend mitwirken durfte; und doch: mir ist bis heute unbegreiflich, dass Friedrich das Säuglingsalter überleben konnte. Sein Ausbruch ist somit ersteinmal Symptom einer erfolgreichen chirurgischen, psychiatrischen und neurologischen Praxis. Aber die geschlossene Psychiatrie zu kritisieren, ist für Sie natürlich einträglicher. Ich verstehe das... Leider wird Ihr Besuch wenig Nutzen haben. Bis morgenfrüh Ihre Zeitung erscheint, ist Friedrichs Freigang beendet und das ist auch gut so... Er ist nämlich abhängig von ärztlicher Obhut und Medikamenten. Die geschlossene Psychiatrie ist eben oft weniger Strafmaßnahme, als individuelle und soziale Notwendigkeit, aber das werden Sie ja auch nicht schreiben.
Sie werden sehen: Morgen ist alles vorbei. Nur ein Sturm im Wasserglas.
friedrich2 - 22. Nov, 21:42
"Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob's nicht so sei, damit ich's wisse." 1. Mose 18, 21
Die Nacht stand Adam in den Augen. In den Gliedern. Er war gar nicht mehr zum Schlafen gekommen. Die grüne Kordlatzhose, über den weißen Holzstuhl mit abblätternder Farbe, beschmiert in Kniehöhe mit Braun und noch mehr Grün. Die metallenen Laken klebten an seinen Beinen, das Wohngestell quietschte als er das Gewicht von der Matratze auf den kleinen Läufer verlagerte.
Die Zelte wurden abgeschlagen. In einigen Stunden wären sie alle wieder zuhause. Sowieso sind es nur ein paar Kilometer. Die Woche darauf war Dorffest im Heimatdorf von Adams Familie. Doch sie waren nicht gebeten worden ihre Buden aufzustellen. Adam wusste, sie hassten sie. Das wollte er ihnen versauen. Irgendwie. Vielleicht etwas ins Essen mischen oder die Schrauben der Kinderkarusselle lösen. Doch Adam glaubte nicht, dass er das könnte.
Auf seinen brüchigen Korksohlen das Aluminium hinab. Kein Kaffee, kein Frühstück, der Abbau sollte gleich beginnen. Doch dann schon wieder ein Pelziges. Ganz weich. Nicht weiß, kein Blitz, ganz ruhig. Fast anmutend selbstbewusst kam es in Adams Nähe. Es benahm sich nicht wie eine Katze. Adam wusste wie Katzen sind. Er kniete sich hin und hielt die Finger hin, doch sie wollte nicht riechen. Adam sagte, egal wie sonderbar du bist, der Bruder meines Ururgroßvaters hätte dich verspeist. Er war eine Attraktion. Ein Geck. Er hätte sich nicht die Mühe gemacht dich erst umzubringen oder dir das Fell abzuziehen. Er hätte dich verschlungen wie du bist. Die Katze schaute ihn unentwegt an. Aber keine Angst, sagte Adam weiter. Ich mache so etwas nicht. So ein schönes Fell. Das ist doch viel zu schön, um es zu essen. Mir würde etwas anderes einfallen, das ich damit machen könnte. Auf Adams Gesicht, ein Lächeln. Die Katze wendete sich ab und verschwand.
Adam Schiffers - 22. Nov, 11:58