FREAKSHOW

Es ist ein durchschnittlicher Morgen, an dem Friedrich verschwindet; so durchschnittlich, dass jedes weitere Attribut, neben eben: durchschnittlich, schon überzogen wäre.
Friedrich wacht auf, da ist es siebenuhrvierundzwanzig. Neben ihm leuchten neunzehn rote Striche, dazwischen zwei Punkte. Er liegt auf der Seite, die Rollläden sind geschlossen. Friedrich verfolgt das Umspringen der Ziffern. Er wartet auf ein Geräusch.
Friedrich wird es hören, nachdem zwei Striche verschwunden sind, um wieder aufzutauchen. Zwei Striche, die zwei Ziffern zerstören, zwei Ziffern erschaffen werden – im ganzen werden es einundzwanzig Striche bleiben, einundzwanzig – eine unscheinbare Veränderung, vielleicht; würde nicht dieses Geräusch folgen: ein Knirschen Guten Morgen. Es ist siebenuhrdreißig, Nachrichten, würde ein Nachrichtensprecher sagen.
Dieses Knirschen. Und Friedrich schlägt auf den Knopf.
Dann steht er auf und drückt den Lichtschalter.
Während er die Rollläden hochzieht, betrachtet er sein Gesicht, im Spiegel der Scheibe. Draußen ist es noch dunkel.
Sieben Minuten später betritt eine Schwester den Raum, um Blutdruck zu messen. Friedrich sitzt auf seinem Bett, angezogen und hat den Ärmel seines Pullovers aufgekrempelt, wie immer. Die Schwester spricht von ihrem Sohn, der vierzehn ist und nach Rauch riecht, wenn er aus der Schule kommt. Der Blutdruck ist etwas zu niedrig.
Um viertel vor acht gibt es Frühstück. Drei Scheiben Weißbrot mit Margarine. Dazu Aprikosenmarmelade und Paprika-Mortadella.
Nachdem er gegessen hat, nimmt Friedrich zwei lippenstiftrote Kapseln aus einem Kästchen, das mit Wochentagen beschriftet ist. Er schluckt und vergisst die Farbe.
Danach zieht Friedrich einen Regenmantel über, und eine blaue Wollmütze auf den Kopf. Er geht mit seinem Tablett den Flur hinab und schiebt es in einen edelstahlglänzenden Rollwagen.
Ein Arzt klopft ihm auf die Schulter: Na Friedrich, Morgenspaziergang?
Draußen ist es diesig und windstill; der Himmel dicht. Keine Vögel.
Friedrich ist in Gedanken verloren. Er läuft im Kreis, folgt dem Kieselweg, unter der schwarzweißen Birke hindurch, an der Backsteinmauer entlang, dann an grünbelegten Holzbänken vorbei, durch den Park; immer wieder.
Nach der siebten Runde, eine Änderung: ein Summen lässt die Stille vibrieren. Gusseiserne Flügel gleiten auseinander – öffnen die Geschlossene – damit ein langgezogener Mercedes einfahren kann. Hinter der Heckscheibe hängt eine bildschirmgraue Gardine. Außerdem auf dem Nummernschild eine Zahl: dreihundertvierundsiebzig. Friedrich sieht dem Wagen nach und denkt an dreizehn rotleuchtende Striche, bis das Motorengeräusch verstummt ist, irgendwo in der Tiefgarage der Pathologie.
Dann bemerkt er wieder dieses Summen, ohrenbetäubend diesmal und aufdringlich, dabei noch immer sehr leise. Es ist die Wiederholung – eine Fliege, die immer wieder gegen die Scheibe stößt – unerträglich dieses Summen, mit einem Mal. Die gusseisernen Flügel zucken, bewegen sich vor und zurück, und doch verändert sich nichts.
Es bleibt eine Lücke.
Friedrich geht auf das Tor zu. Sein Körper ist erfüllt von diesem Gefühl - die Hand über einem Glas mit Mineralwasser.
Eine Überwachungskamera betrachtet Friedrich, mit gläsriger Linse: wir blicken auf einen Mann herab, grau und verzerrt, wartend.
Doch die Umrisse sind zu undeutlich, die Perspektive täuscht: Friedrich wartet nicht.
Friedrich zögert einen Augenblick vor dem Freisein.
Er trifft eine Entscheidung - frei.

Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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November 2007
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Impressum:

Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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