Mittwoch, 7. November 2007

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Dieser Mittwoch ist von einer schönen blauen Farbe. Solch ein Blau, als habe man Himmel und Wolken vermischt, ein wenig norddeutsches Himmelblau, etwas strahlender Urlaubshimmel (am Besten eignet sich das Blau des Fidschiinselurlaubhimmels), sich über Gebirgen auftürmende weiße Wattewolken sanft darunter gehoben, wie man es mit Eischnee bei einem Kuchenteig tut, eine Prise des Regenwolkenvioletts, aber nur eine kleine. Mit einem leichten Duft nach frisch gewaschener Jeans und genauso locker wie eine gut geratene Masse Teig, mit Luftblasen darin. Von wunderbar eieriger Form und weich wie das Fell eines jungen Kükens, so zart, dass man glaubt seinen Flaum selbst nach der Berührung noch an den Fingern zu spüren. Ja, so ist dieser Mittwoch. Pina steht am Kiosk und kauft für 1,29 Euro eine Tüte Brauseufos, wählt eine, in der besonders viele rosafarbige sind. Gerade ergießt sich der fünfte Schauer des Tages über der kleinen Stadt, auch von unten kriecht die Nässe an den Kleidern all derer hoch, die die Straßen durchqueren. „Das Wasser nähert sich den Menschen von oben und von unten“, denkt Pina.

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Wie immer war es eine Tortur gewesen: Bis sich Hans-Peter Braunscheid entschieden hatte, was er an diesem Tag hauptgerichtlich zu sich nehmen sollte, vergingen etwa dreißig Minuten. Nudeln, Reis und Kartoffeln lagen nebeneinander im mittleren Fach seines Vorratsschranks und warfen ihm herausfordernde Blicke zu. Sobald Hans-Peter einem von ihnen seine gesonderte Aufmerksamkeit schenkte, fühlten sich die anderen ungerecht behandelt und er wollte keinen von ihnen verärgern oder gar benachteiligen, er mochte sie ja alle drei, doch auch seinem Magen gegenüber galt es, Höflichkeit zu bewahren, und so versprach er schließlich den Nudeln und Kartoffeln hoch und heilig, sich ihrer am folgenden Tag zu bedienen, griff zur Reispackung und schloss schnell die Schranktür, um Vorwurf und Trauer in den Augen der Zurückgebliebenen nicht mit ansehen zu müssen.
Während er aß - weil Mittwoch war, saß er dabei auf dem Stuhl, der an der Stirnseite des Tisches stand - dachte er an seine Füße und die Nacht.
Vor einigen Wochen hatte er versucht, die ungewöhnlich dicke Hornhaut an seinen Fersen zu entfernen, weil seine Haut an jeder Stelle seines Körpers gleich aussehen sollte, doch die hatte sich gerächt: Beim Nachwachsen des Hornbelags waren tiefe Risse entstanden, und beim erneuten Entfernen blutige Risse, es tat höllisch weh, aber zu einem Arzt wollte er auf keinen Fall gehen, denn er hielt sein Problem gemessen am knappen Zeitkontingent eines Arztes für zu unbedeutend - und abgesehen davon war er schließlich zum Einen ein Mann und zum Anderen selbst schuld.
Auf Zehenspitzen brachte Hans-Peter seinen leeren Teller zur Spüle und wusch ihn augenblicklich ab. Er schaltete das Radio an, drehte nervös von Sender zu Sender, weil er jede Musik gleich schön fand, und war erleichtert, als die Sechs-Uhr-Nachrichten ihm das erlösende Zeichen zum Aufbruch gaben. Vorsichtig zog er sich seine an den Fersen mit Schaumstoff ausgepolsterten Schuhe an (es tat trotzdem weh), und verließ seine Wohnung, um zum Nachtschichtbeginn pünktlich im Betriebshof zu sein.

Adam

"... an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist."
1. Mose, 3, 5

Grüne und rote Zuckersplitter. Er nahm sie immer mit Daumen und Zeigefinger. Sie klebten aneinander. Er legte sie auf seine Zunge. Auch der Gaumen war schon ganz wund, von der ganzen Tasse voll. Es ist schon die zweite. Sein Mittag war das, was nicht auf den Äpfeln landete. Süße, scharfe Schnittreste. Auch der neongelbe, rosa Plastik klebte. Doch den kleinen Händen war das egal. Selber schmierig von weißen Schaum und Dreck. Hinter der Scheibe, eine Fahrt zwei Euro, fünf Fahrten acht Euro, zehn Fahrten fünfzehn Euro, ließ Adam die Pferdchen und Ponys, die Feuerwehr- und Polizeiwägelchen, Boote und Motorräderchen ewig verfolgen. Der letzte Klumpen Zuckersplitter fiel aus der Tasse auf die Zunge. Mit offenem Mund knirschte es als er sie mit den Zähnen zermahlte.
Klein kam sie herüber zu Adam mit einer Waffel in den Fingern und einem gelben Dino auf der Brust. Große Augen waren auf dem Karussell, das weiche Gesicht ging hin und her. War es ein Pferd, das sie beobachtete, das Feuerwehrwägelchen, oder kannte sie vielleicht ein Kind das mitfuhr. Dann lächelte sie mit zu wenig Zähnen und kam noch weiter zu Adam. Das Ärmchen hochgestreckt, auf Zehenspitzen, lag dann das Zweieurostück auf Adams Tresen. Einmal mit dem Pferd reiten bitte, sagte sie. Adams langer Zeigefinger berührte ihr Inneres
der Hand, dann legte er den rosa Plastikchip auf ihr ab. Einmal Pferd reiten bitte sehr, halt den Chip gut fest und geh gleich zum Pferd, damit niemand eher bei ihm ist. Den Chip fest in der Hand, rannte sie zum Karussell, das schon begann sich auszudrehen.
Nun ging Adams Gesicht hin und her. Nicht mehr so weich, Haare nicht mehr so voll, Augen noch groß. Runde um Runde, das Mädchen stieg ab. Ein paar Meter weiter setzte sie sich auf den Boden, Augen auf dem Karussell. Auf dem Pferdchen, hin und her. Mit seinen Zuckersplitter-Fingern nahm er einen rosa Chip. Er ging als wäre nichts, hinter dem Mädchen entlang, ließ den Chip auf ihren Schoß fallen und wusste, ihr gefällt das. Er wusste, sie dreht sich um und guckt, doch Adam nicht und ging weiter. Der Vorwand war aufs Klo zu gehen und zur nächsten Runde wieder da zu sein. Sie zu sehen auf dem Pferdchen.
Im Klocontainer. Er konnte nicht. Zurück.
Er sah sie am Häuschen stehend, den rosa Chip in ihrer Hand. Ich glaube den hast du gerade verloren, sagte sie. Ich glaube nicht. Das ist dein Glück. Jetzt kannst du noch mal auf dem Pferdchen reiten. Aber das ist doch nicht richtig so, sagte sie. Aber du willst es doch. Dann ist das schon in Ordnung.
Noch einmal saß sie auf dem Pferdchen. Adam schaute nicht weg von ihr. Dann verschwand das Mädchen. Adams Schicht war vorbei. In der Pause noch was süßes.

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Viola tritt heute schneller in die Pedalen, als sie es für gewöhnlich tut, nicht zu spät kommen, nur nicht zu spät den ranzigen Friseurladen betreten, der nach alten Menschen riecht, immer. Eine angenehme Dunkelheit, unerkannt auf die Straße treten, sich ungesehen auf das Fahrrad setzten, klapprig, alt, blau angesprüht, ein blaues Fahrrad. Franck findet es schön.

Viola reißt sich die grüne Wollmütze vom Kopf. "Coiffeur Robert" leuchtet in dreckigem Neongelb in die morgendliche Dunkelheit. Irgendein Tag im November. Kurz lehnt sie sich gegen die Hauswand neben der Eingangstür, drei Atemzüge, die nur ihr gehören. Und dann los!

Mit dem leeren Wäschekorb in den Keller, vorsichtig sein, Stufe für Stufe, eine ungewöhnlich steile Treppe. Seitdem sie vor etwa einem Jahr gestürzt war und sich das Handgelenk gebrochen hatte, ist sie besonders aufmerksam. Viola faltet die sauberen Handtücher, jedes genau drei Mal.

Marie kommt zu spät

und der dicke Mann schlägt mit der Faust auf den Tisch. Dann geht sie hoch, 45 Stufen, 2 Menschen, vielleicht 1 Gedanke. Sie putzt die Zimmer im Motel am Stadtrand. Manchmal versteckt sie dort kleine rosa Zettelchen unter den Kissen, auf denen sie bösartige Nachrichten notiert („ du bist hässlich!“). Ansonsten macht sie ihre Arbeit ordentlich.
An diesem Tag vergisst sie den dicken Mann und die rosa Zettelchen und legt sich auf eins von den Betten. Marie denkt: Menschen sind dämlich, irgendwie verwirrt, als wüssten sie nicht, dass Nick Cave auch nur Scheiße singt. Als sie wieder aufsteht, die Tür schließt, ins nächste Zimmer geht, sich auf das nächste Bett legt, singt sie still: and I don't believe in the existence of angels but looking at you I wonder if that's true. Sie lacht.
Als sie um 16:30 das Motel verlässt, ist der dicke Mann hinter der Rezeption im Sitzen eingeschlafen. Gut, dass die Fettlagen seines Kinns den Kopf aufrecht halten , denkt sie und geht nach Hause.


Was hier passiert:

Anfang. Ende. ist ein virtuelles Romanprojekt des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus: dreizehn Personen, eine Katze, ein Hase und eine fremde Macht. Die Zeichen stehen auf Sturm. In Tagen wird es vorüber sein.

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Impressum:

Aline Kappich, Azar Mortazavi, Clara Ehrenwerth, Eva-Lena Lörzer, Fabian Hischmann, Florian Balle, Hieu Hoang Duc, Janna Schielke, Julia Schulz, Max Balzer, Phillip Hartwig, Sebastian Albrecht, Sebastian Polmans, Susanne Kruse. Moderiert von Jule D. Körber und Lino Wirag.

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